Neues aus dem Augiasstall: Sohn seines Vaters

Söhne haben immer etwas von ihren Vätern. Das Gute, sagen die Väter. Von den Müttern wollen wir schweigen – solange sie selbst schweigen.
Ich zum Beispiel habe die Göttlichkeit meines Vaters Zeus in die Wiege gelegt bekommen. Hätte er mich nicht mit seiner Gespielin Alkmene, meiner Mutter, die keine Göttin, sondern eine Menschin war, gezeugt, wäre ich ein ganzer Gott geworden. So leider nur ein Halbgott. Zeus hätte das gern gesehen. Doch auch Göttern und sogar dem Göttervater sind Grenzen gesetzt. Von Hera, seiner Gemahlin.
Der, den ich heute ausdrücklich warne, hat auch sehr viel von seinem Vater: Statur, Nacken, rosarote Wangen, die den Äuglein nicht viel Platz lassen.
Nur dessen Schläue hat er nicht.
Da sein Vater ein König war, der des Reiches, das die Lateiner Monaco Transalpina nennen – manche der Untertanen hielten ihn sogar für einen Gottkönig – und deshalb ein königliches Auftreten und vieles mehr dergleichen zur Schau trug und auch im Ausland pflegte sowie im Inneren Feudalabgaben erhob, glaubte der Sohn, dessen Königreich geerbt zu haben.
Also benahm er sich ganz ähnlich wie der königliche Vater.
Weil er aber nicht schlau genug war, setzte er auf einen Falschen, machte Geschäfte mit Kampfwagen, und man fing ihn ein. Sodann wurde er vor das Scherbengericht einer Stadt im germanischen Raetia namens Augusta Vindelicorum gestellt. Die Anklage lautete auf Feudalabgabenhinterziehung.
Da wurde er plötzlich krank. Sehr krank. Krank in der Seele, denn sein Leib war und blieb äußerlich kerngesund und kugelrund, wie auch ein normaler blinder Prozessbeobachter es ganz deutlich sehen konnte.
Die Seele aber ist auch dem Sehenden unsichtbar und daher selbst von Asklepios nicht so leicht zu heilen. Das wissen alle Seelenkranken, die vor dem Scherbengericht stehen.
Der Gesichtsausdruck des Königssohnes war versteinert, leb-  und reglos, die einst so mächtigen Schultern hingen herab und überließen die Arme wie Zweige der trauernden Weide dem Wind eines ungerechten Schicksals. Sein Gang war schleppend und tappsend wie der des tausendjährigen Methusalem aus dem mesopotamischen Chaldäa.
Der Königssohn wurde verurteilt zu einer Karzerstrafe von drei Jahren und drei Monaten und ließ das Urteil revidieren.
In einem zweiten Gerichtsverfahren sprach man ihn frei, damit seine Seele gesunde.
Das geschah auf der Stelle.
Nun blitzen die Äuglein wieder listig eingebettet in rosarote Wangenbollwerke wie die des Vaters, die Schultern heben und senken sich im gesunden Rhythmus, der Thorax bläht sich wie der des asiatischen Kampfhahns, und seine Schritte gleichen denen des geübten Marathongehers.
Jetzt richtet sich all seine neu erwachte Seelenkraft auf die Epigonen des glorreichen Königs, die das Reich zu zermürben begannen und die Königspartei auf 43 von ehemaligen 60 per centum schrumpfen ließen.
Aber nicht politisch ist seine Rache, sondern monetär. Er fordert, wie auf dem Olymp jüngst bekannt wurde, vom Königreich Monaco Transalpina eine Entschädigung in Höhe von 900.000 Europadrachmen – für die vollkommene Gesundung seiner Seele.
An höchster Stelle war man sehr erbost, mein Vater schnürte ein Bündel Blitze und wollte ihn zu den Schweinen schicken, auf dass er endlich Demut lerne.
Doch ich möchte um des Namens seiner Mutter willen, die eine anständige Menschin war, zunächst Gnade vor Recht ergehen lassen. Nach Geheimverhandlungen mit den gereizten Epigonen kann ich ihm stattdessen ein freiwillliges soziales Jahr in Augias Rinderställen anbieten. Wenn dieses um ist, wird er hinausgespritzt – mit Duftwasser, damit er wieder unter Menschen gehen kann.
Seine Seele wird bei den Rindviechern auf jeden Fall ihre Katharsis erfahren. Das haben mir viele ehemalige reuige Kranke mittlerweile bestätigt.
Deshalb: Greif zu, Maximus Monacensis Transalpinus, sonst wird man dich zur Zwangsarbeit bei den Säuen verpflichten. Die dauert dann so lange wie die Gefängnisstrafe aus erster Instanz.

In tiefer Vernichtung,

Euer Herakles