Die weißen Tauben sind müde

(armen Kindern zur Nacht vorzulesen)

Liebe arme Kinder, die ihr uns einmal ernähren müsst, heute gibt es ein Märchen für euch, das euch immer ein Rätsel bleiben wird, wenn ihr jetzt nicht genau aufpasst.
Es waren einmal Zwei. Obwohl es nur um Einen geht.
Sie tragen beide den gleichen Namen. Bis auf einen Buchstaben ist der Name goldfarbig, klebt und tritt aus Bäumen aus, in die man mit einem Messerlein geschnitten hat.
Der eine hatte eine schöne rauhe Stimme und sang ein trauriges Lied: Die weißen Tauben sind müde. Das wollten die Menschen nicht so gerne hören, weil die weißen Tauben sehr wohl noch flogen, wenn auch viel zu hoch. Außerdem behauptete man, er sei vorher im Knast gewesen und ist auch schon gestorben. Wer sollte einem solchen wohl nachtrauern, auch wenn er dann doch nicht im Knast war?
Der Andere war ganz bestimmt nicht im Knast und lebte wie die Made im Speck. Weil er ein Dealer war. Was ein Dealer ist, wisst ihr Kinder besser als wir Alten, weil ihr viel besser Englisch könnt. Trotzdem fragt ihr jetzt: Warum muss der Dealer dann nicht in den Knast? Das ist uns ein Rätsel.
Da habt ihr Recht, denn es sollte ja eines sein. Nicht nur für euch.
Der Dealer hat nämlich vielen großes Vergnügen bereitet. Sich selbst freilich am meisten. Das gefiel wiederum anderen nicht, weil sie nicht drankamen. Deshalb zeigten sie ihn bei der Polizei an.
Aber er war schlau und machte folgenden Deal: Er schenkte den Herren Richtern und sogar dem Staatsanwalt, kurz, dem Herrn Staat, ein Grundstück auf dem Planeten Pluto. Ein wahrhaftes Filetstück im Wert von schlappen 567.000 Euro. Es heißt Red Nose Island, mit besten Grüßen vom Weihnachtsmann, denn der ist dort sein Nachbar.
Wer könnte da von Kuhhandel faseln? Das wäre doch unterste Schublade und gibt es nur in einer Jamaika-Koalition oder in der CDUCSUFDPSPD.

Von vielen Wohltätern wird neuerdings immer wieder verlangt, dass sie ihre Wohltaten bedauern. Wieso denn?
Das tun ja nicht einmal Terroristen wirklich, weil die nur raus wollen aus dem Knast. Warum also sollte der bedauern, der nicht rein will? Dafür hat man als liberaler Rechtsstaat doch Verständnis.
Aber  im Grunde seines Herzens leidet der Herr unseres Rätsels wie, äh, äh,  nun ja, äh, äh, wie ein Hund eben.

Es gab einmal noch ein anderes Lied: Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff.
Der Herr Staat hat also Red Nose Island fest im Griff, der andere die Freiheit und viel Kohle, denn das Grundstück kann er locker verschmerzen, nicht nur, weil es so weit weg ist. Der Herr Staat kann sich am Grundstück festhalten, der andere Herr an Freiheit und Kohle, wenn das unsinkbare Schiff demnächst das Heck in die Luft streckt.
Jetzt wollen wir die Dummen unter euch aber nicht länger auf die Folter spannen. Die Klugen, und das sind die meisten, wussten es natürlich gleich.
Der Gesuchte wurde nicht steckbrieflich gesucht, und es ist auch nicht der arme Hans Hartz, also der mit der rauhen Stimme, den weißen Tauben, aus dem Knast und auf dem Friedhof.
Nein, er steht mit seinem Namen dafür, daß Arme Geld bekommen, weshalb er Wohltaten vollbringt. Nennt man auch Stütze, und Stütze ist sozialverträglich. Wer kriegt schon jeden Monat 350 Euro geschenkt?
Aber ihr müsst weiterdenken, ihr Kinder. Später einmal, wenn das Schiff gesunken ist, werden die Stütze-Empfänger die wirklich Reichen sein, weil sie ein gesichertes Einkommen haben. Andere müssen Diebstahl und Raub im Griff und ständig Angst haben, selbst gegriffen zu werden. Zum Beispiel auf ihrer Heimreise aus dem Urlaub in Liechtenstein.

Ja, ja, die weißen Tauben gibt es nicht mehr auf dem sinkenden Schiff. Ebenso wenig wie weiße Westen. Daran könnte man sich auch schwerlich festhalten, weil es keine Rettungswesten aus Kohle(n)-Stoff sind.
Dafür fliegen die schrägen Vögel, die Krähen, die Elstern und die Geier, ganz tief, schnappen nach jedem Häppchen, hacken mit spitzen Schnäbeln nach denen, die auch schnappen, obwohl es heißt, eine Krähe hacke der anderen kein Auge aus. Das mag sogar stimmen – solange genug da ist.
Wenn nicht mehr genug da ist, vertreiben sie sogar die Kojoten von bleichenden Gerippen.
Aber keine Angst, ihr Krähen, Elstern, Geier und Kojoten: Der Herr Staat sattelt schon wieder Fleisch drauf, denn die Geldpressen laufen mittlerweile heiß. Bezahlen werden´s die Armen. Spätestens ihr, die armen Kinder.