Einstein war gut

Zumindest, als er die Zunge rausstreckte, sagen die Einen. Und seine Relativitätstheorie ist auch gut, selbst wenn sie relativ ist, sagen Andere.
So wurde er, der größte Physiker aller Zeiten, heiß diskutiert. Neuerdings sogar, ob er wirklich der Größte  war oder nur ein Hochstapler.
In gewisser Hinsicht wurde er jetzt aber ohne jeden Zweifel übertroffen. Von einem Computer, das erscheint logisch, weil Computer ja sogar Schachspieler übertreffen.
Was Computer alles schaffen, können wir im einzelnen nicht aufzählen, denn dazu müssten wir Intelligenzler sein oder wenigstens die Sendung mit der Maus von Kindesbeinen an durchgehend belegt haben.
Mittlerweile soll es aber schon möglich sein, Artilleriegeschütze oder lebendige Elefanten mittels Computer zu erschaffen.
Der Computer katapultiert also den Homo sapiens, seinen Erfinder, hoch hinauf in himmlische Gefielde und sogar darüber hinaus, so dass kaum mehr nachvollziehbar ist, wer der Schöpfer ist: die Krone der Schöpfung selbst oder sein Produkt. Ein gelangweilter Rückblick auf den „Zauberlehrling“ drängt sich  hartnäckig auf.
Dass man mit Computern auch Musik herstellen kann, ist nichts Neues. Sogar Hits. Am laufenden Band. Man braucht dazu nur ein paar gängige Bausteine, die man aneinander reiht und nach Belieben austauscht. Diese Scheibe müssta koofn, denn die is was für die Doofn. Wenn sowas dabei rauskäme, wäre es sogar gut. Doch der alte Karl Dall verließ sich lieber auf sich selbst und seinen Genius. Außerdem gab es zu seiner Zeit noch keine musikschaffenden Elektromixgeräte.
Mittels solcher Bausteine gelang nun etwas ganz anderes, das gleichwohl ebenso im Bereich der Illusion angesiedelt ist wie die Scheibe, die wir damals koofn sollten.
Da tauchten nämlich im Wissenschaftsverlag Springer Science & Businessmedia 16 Artikel auf, die von einem Computerprogramm willkürlich zusammengestopselt waren, ohne Sinn und ohne Verstand.
Hat halt wieder was mit Business zu tun, klar. Science war da wohl sehr marginal.
Erstellt wurden diese Fachpublikationen mit dem Programm Scigen, das wissenschaftliche Fachbegriffe oder Textbausteine einfach so auf die Hühnerstange bringt.
Und obwohl diese Texte was für die Doofn sind, hat´s auch keiner von Klugen bemerkt.
Im Grunde ist das ja ganz schön lustig, aber was jetzt?
Es ist eine Aufgabe für Wissenschaftler, die was taugen. Leider muss man die mit der Lupe suchen, seit das Abiturium soviel wert ist wie das Konfetti bei der New Yorker Steuben-Parade, und aus Wissenschaftlern Wissensschlächter wurden.
Aber es ist ganz einfach: Ein Klarsichtprogramm muss her, das sinnfreie Wissenschaftstexte erkennt und eliminiert, ein, sagen wir,  Sinnerkennungsscanner, so wie ein Plagiaterkennungsscanner etwa.
Es gibt viel zu packen, tut es ihnen an, ihr IT-Intelligenzler.
Und da sind wir endlich bei dem Einen, der tatsächlich schon damit begonnen hat.
Es ist der Franzose Cyril Labbé von der Uni Grenoble, der zwischen 2008 und 2013 sage und schreibe 130 Nonsense-Publikationen aufgedeckt und zum eigenen Spaß selbst einen Verfasser erfunden hat, der öfter nachgefragt wurde als Einstein.
So schließ sich der Kreis beim alten Zungenblecker mit der Sturmfrisur. Er war halt doch gut, saugut sogar, einer der Besten.
Ob diese Luftpublikationen außer der immer weiter und rasant um sich greifenden Verblödung auch in Wissenschaftlerkreisen daneben noch weiteren Schaden angerichtet haben, wird man noch sehen. Vielleicht, wenn sie in irgendeiner Doktorarbeit auftauchen.
Deshalb muss man auch bei Wikipedia sehr vorsichtig sein. Durchaus vorstellbar wäre nämlich, dass dort viele Versuchsballons hochgelassen werden – von namhaften Wissenschaftlern, die ihre Thesen aus der Anonymität heraus testen lassen wollen.
Rein vorsorglich sollten daher die Wiki-Kontrolleure jeden Eintrag mit einem Einstein-Zungen-Smiley oder dem Nürnberger Weisheitstrichter versehen. Das macht es auch für Analphabeten leichter, die wissenschaftlich arbeiten.
Was würde Sokrates heute dazu sagen?
Ja, ja, alter Hut in neuen Medien. Lassen wir das, denn Sokrates war so gut wie Einstein. Ob er seinen Zeitgenossen auch öfter mal die Zunge rausstreckte, ist nicht überliefert, aber sehr wahrscheinlich.

Quelle:
„Welt Online“ vom 2. März 2014