Fama fit

oder: Ein Gerücht entsteht

Im Kreis von Pädagogen bestens bekannt: Der von seinen Idealen malträtierte Junglehrer will den Schülern die Entstehung eines Gerüchts nahebringen. Als probates Mittel dazu – so hat er es an der Uni im Fachbereich Kommunikationstheorie gelernt – erscheint ihm die „Flüsterpost“.
Also flüstert er dem ersten Schüler in der vordersten Gruppe ein Wort ins Ohr: Osterhase. Die Schüler sollen dieses Wort einander weitergeben. Gespannt wartet der junge Mann, was am Ende dabei herauskommen wird.
Das Ergebnis ist niederschmetternd: Du Blödmann.
Es hätte auch schlimmer ausgehen können: Fünf Euro, sonst gibt´s Haue!
Womit wir beim Thema wären.
An der New Yorker Börse soll es vor vielen, vielen Jahren einen Broker gegeben haben, der vor seiner Berufung Schuhputzer gewesen war, wo er den lieben langen Tag so manches von den Geldmenschen erfahren hatte. So beschloss er eines Tages, in die Geheimnisse des Geldmachens durch Nichtstun außer Schwätzen einzudringen und wurde an diesem Ort in kürzester Zeit eine hofierte wie gefürchtete Koryphäe.
Er kam auf die Idee, Börsenwerte durch ein ausgeklügeltes System von akustischen anstelle visueller Zeichen weiterzugeben. Sehr zustatten kam ihm dabei seine ausgeprägte Methangasaussscheidung sowie die Kenntnis der Schrift: Wer Ohren hat zu hören, der höre.
Bald beherrschte er diese Zeichengebung so perfekt, dass er, rein privat, nicht nur den Quintenzirkel einschließlich der enharmonischen Verwechslung rauf- und runtertönen, sondern, dann nicht mehr privat, sondern börsianisch, die wichtigsten, also gewinnbringendsten Tageskurse im Klarinetten-, Trompeten-, Posaunen-, Tuba- und sogar Fagottsound durch das Getöse der Halle blasen konnte. Tonrein selbstverständlich, denn er hatte noch dazu das absolute Gehör.

Als er, völlig unerwartet, im Schicksalsjahr 1929 verstarb, kam es zur Weltwirtschaftskrise, weil er das Geheimnis seiner Tonangebung mit ins Grab nahm.
Und es war doch so einfach gewesen. Durch ein ausgeklügeltes System von methangaserzeugten Tönen vermochte er die Spekulanten in die allerverschiedensten Richtungen zu lenken: diejenigen, die er mochte oder die ihn in angemessenem Umfang an ihren Gewinnen partizipieren ließen, in die lukrativsten; die anderen, die er nicht leiden konnte oder die ihn als Mann ohne Schließmuskel verunglimpften, bis in den Selbstmord.
Der genaue Betrachter des Spaktakulums Börse weiß – by the way – seitdem auch, dass die mit Papieren Wedelnden sich keiner kryptischen Zeichensprache bedienen, sondern sich Frischluft zuzufächeln versuchen auf dem Methangasschlachtfeld.
Was verbirgt sich nun dahinter?
Besinnen wir uns noch einmal auf das didaktisch-kindliche Spiel der „Flüsterpost“. Eine Information wird weitergegeben. Sie ist zunächst nicht zu beanstanden, weil sie wertfrei und an sich korrekt oder ganz einfach nichtssagend ist  Im Verlauf der Weitergabe wird sie verändert. Das kann unwillkürlich geschehen. Durch ungenügende Artikulation oder einen Hörfehler beispielsweise. Die Nachricht kann aber auch willentlich verändert werden, durch einen schlitzohrigen Schüler, der das Spiel zu vermiesen gedenkt.
Was bedeutet es, übertragen auf die Börsen, die Hauptspielplätze aller Teufelsfurzer dieser Welt?
Die Werte, die dort weitergegeben werden, sind in der Regel auch wertfrei, d.h., sie sind frei erfunden. Das System der Börsenfurzer vermag ihnen jedoch reale Werte einzublasen wie einem Luftballon. Lediglich der dafür nötige Druck und das dadurch entstehende wertlose Volumen sind ausschlaggebend.
Eines steht allerdings zweifelsfrei fest: die vielen Nachahmer des virtuosen Börsenbläsers können es immer noch nicht. Deshalb werden alle Börsentöne fehlinterpretiert, es entsteht die Kakophonie in Reinstform, Ursache für die  horrenden Schwankungen und Sprünge.
Ein Fall für die Kommunikationswissenschaftler? Gott bewahre, denn die machen alles noch viel schlimmer, weil sie die einfachste aller Möglichkeiten, den übelriechenden  Bodensatz dieser Geschäfte, überhaupt nicht in Betracht ziehen, sondern im Streit der Experten neue Kommunikationstheorien entwickeln und sich einzig und allein dabei wieder selbst zerfleischen würden, statt auf relevante Töne zu hören.
Nein, die Methangasgerüchteküche muss brodeln an den Börsen. Nichts ist in Geldangelegenheiten so effektiv wie die Verunsicherung der Beteiligten durch leise oder laute, liebliche oder schrille Töne, nichts so destruktiv wie das Schüren der Angst um den potentiellen Verlust eigener Methangasvorkommen, sprich Geld.

Auf gute Gesundheit vorläufig, ihr Börsenfurzer! Mögen euch eines Tages die selbstgeblähten Eingeweide zerplatzen.