Gebt dem Kaiser…

… was des Kaisers ist! Den zweiten Teil des Spruches können wir uns sparen, denn jener Adressat kriegt sowieso nichts. Abgesehen davon braucht er auch nichts.
Seit der Erfindung von Steuereintreibungen gab es mit diesem hoheitlich-imperativen Postulat immer Schwierigkeiten. Kein Wunder, denn die Hoheiten finanzierten damit in erster Linie Torheiten: Kriege, Prunk, Völlerei und Hurerei zu ihrem eigenen Ergötzen.
Steuerhinterziehung galt deshalb auf der Gegenseite auch schon immer als Kavaliersdelikt.
Im modernen Rechtsstaat würden Steuergelder zum Wohl des Volkes verwendet und nicht verschwendet. Glaubte man. Damit wäre der Hinterziehung die vulgärmoralische Beechtigung entzogen. Glaubte man auch.
Seit aber die Gier Hochkonjunktur hat und beileibe keine Worthülse, sondern mit Moneten bis oben hin gefüllt ist, pochen auch die professionellen Steuerhinterzieher wieder auf ihr angestammtes Gebrauchsrecht.
Aber sie haben nicht mit den Leuten gerechnet, die man zu anderen Zeiten gemeinhin als Büttel bezeichnete.  Waren sie wohl damals auch. Unbarmherzig und hart im Nehmen. Von den sogenannnten Kleinen.
Heute heißen sie Steuerfahnder, und dieses Wort allein flößt Grauen ein. Nicht den Kleinen, weil die mangels Masse nichts zu hinterziehen oder zu verbergen haben.
Die Steuerfahnder suchen und nehmen von den sogenannten Großen und sind darin auch nicht von weitem Herzen und Sinn. Recht so, freuen sich die Kleinen. Doch sie lachen zu früh.
Sie wußten nämlich nicht, daß es in Hessen einen Medicus der Psyche gibt, der pflichtbewußten Steuerfahndern ein gestörtes Seelenleben attestiert. Nicht auf deren eigenen Pensionierungsantrag wohlgemerkt.
„Paranoid-querulatorische Entwicklung“ nennt der Herr das. Man darf ihn ruhigen Gewissens mahnen, wissenschaftliche Begriffe, die er während seines Studiums hart erlernen mußte, auch korrekt zu verwenden. Paranoia bedeutet Verfolgungswahn und meint die zwanghafte Vorstellung des Betroffenen, verfolgt zu werden. Ein Querulant ist im allgemeinen Sprachgebrauch ein notorischer Stänkerer. Verzeihung, Doktor, daß der Kommentator sich in derartig plebejische Tiefen begibt.
Steuerfahnder werden jedoch nicht verfolgt, sondern verfolgen. Bisher war es jedenfalls so. Und Bilanzen haben kein loses Mundwerk, sondern sprechen eine eindeutige Sprache. Sofern sie nicht gefälscht sind.
Mit dem Gutachten des Psychiaters, das man auch als „Gefälligkeitsbegutachtung“ bezeichnet, kehrt sich freilich das Verhältnis um: Nun werden in der Tat Steuerfahnder verfolgt. Von ihrem höchsten Dienstherrn. Zu wessen Vorteil? Zum Vorteil von masseschweren Steuerhalunken. Das ist keine Philippika aus der lustigen Bütt, sondern eben gefälligkeitsbedingt nach dem Prinzip „manus manum lavat“.
Die „paranoid-querulatorischen“ Steuerfahnder hatten einen Amtseid geleistet, den sie nach bestem Wissen und Gewissen befolgten.
Doch was zählen Eide und Schwüre in anderen, erlauchteren Kreisen? Deren Bruch war schon immer ein Kavaliersdelikt und genießt besonders in dieser Republik wieder höchste Respektabilität. Da werden dann in konspirativen Herrenclubs dicke Havannas geschmaucht, Cognacgläser geschwenkt und fleißig gegenseitig mitverschworene Schultern geklopft. Wäre doch jelacht, was??
Nun kann man – auch wieder getrost – hochrechnen, wie, wo und in welchem Umfang weitere solcher „Gefälligkeitsgutachten“ erstellt werden.
Gulag läßt grüßen, zieht euch warm an!

Quelle: DER SPIEGEL vom 13.07.09, S. 69
SPIEGEL ONLINE vom 18.07.09