Isola bella

Isola bella

Die Inseln verschwinden las der für die Insel gereifte Herr Sonnenschein aus Chemnitz, früher Karl-Marx-Stadt, sozialistisch-mundartlich GoMoSto, bei SPIEGEL-Online.
Er griff nervös nach den Southern-Walking-Spießen und fragte rein rhetorisch: „Nu sowas, wo soll isch dann sassernwookn, hää?“
„Klicken Sie weiter, Herr Sonnenschein. Nach W und Westerland.“ befahl die virtuelle Stimme aus den Lautsprechern links und rechts des 200 Zoll großen Bildschirms tonlos.
„Westoland? Zu den Nockisch´n? Isch will meene Ruhe beim Sassernwookn!“
„Schweigen Sie, Herr Sonnenschein!“ gebot die Stimme barsch. „Machen Sie sich reisefertig.“
Herr Sonnenschein las weiter, sich jetzt redlich um schriftgetreue Aussprache bemühend: „Westerland, alter Name für Zit-ta del-la ter-ra o-vest.“
Gute Idee, dachte Herr Sonnenschein und bestieg aufgeregt die seetüchtige Jolle, die vor dem Haus ankerte.
Nach den vereisten Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland zog es ihn schon lange nicht mehr, denn Nordic-Walking war giga-out.
Das bordeigene GPS korrigierte sanft den Kurs, mal drei ° back-bord, dann fünf ° steuerbord.
Über Frankfurt am Main gab es ausnahmsweise einen leichten Ruck, und das Gerät zeigte 90° steuerbord an. Aus der zunehmenden Geschwindigkeit der Jolle folgerte Herr Sonnenschein, daß es von da an rasch meerabwärts ging. GPS beruhigte ihn: “Wir befinden uns jetzt im Bereich der Strömung des unterseeischen Flusses Rhein, lateinisch Flumen Rhenus.“
Herr Sonnenschein döste. „Rechter Hand sehen Sie Türme und Dach des Kirchenschiffes der gotischen Kathedrale in der ehemaligen Stadt Köln“.
Sieht aus wie der Kirchturm des Dorfes Graun im Reschensee, Südtirol, erinnerte sich Herr Sonnenschein und dachte wehmütig an Törggelen, Rotwein Marke Silberstückl und Birnenschnaps.
Am Lido von Cittá della terra ovest waren die Teufel los beim Sassernwookn. Auf der Stelle wooknd standen sie vor den Cafés und begehrten Einlaß.
„Wirre brauken noch ville mehre Schireme di Sole, Scheffe!“ -„Tschelato, Eise von Vanilla unde Schokolada, prägo sehrre, Sinjorina.“ –
„Due Kaputschinos für Sinjora e Sinjore dorte drübene!“ – „Opp, avanti, los, faule Stronzo von eine Gellnere!“
So gerieten sich germanoide Italianosse als Kellner, Gäste und Chefs in die Haare.
Vespas knatterten durch die Straßen, und im Ersten Cinemá della Cittá lief seit Jahren der Kult-Streifen Man sssprikt Italia.
Aus hunderten von Café-Lautsprechern überschlugen sich die Dauerbrenner Wenn bei Borkum die rote Sonne im Meer versinkt und O sole Sylte.
„Aah, gion porno, Sinjore Luce di Sole!“ begrüßte der geölte Recepziere im Hotel Herrn Sonnenschein dienstfertig und ließ das Gepäck aufs Zimmer bringen. Herr Sonnenschein verlor keine Zeit, kaufte den Southern-Walking-Pass und wookte sassern über die weißen Strände.
Nach drei Stunden ließ er sich durchgewookt, aber rundum glücklich vor einem Eiscafé nieder und grunzte ooahh auf sächsisch.
„Icke empfehle: Tschelato von Ssspitzebergen, pardongschio, Eisebergessspitze, Sinjore, Speschialitá della Casa.“ munterte der Kellner ihn auf.
Ein beleibter Signore, respektlos Pate genannt, obwohl er der Bürgermeister von Terra ovest war, lief schweißgebadet die Promenade auf und ab und klagte jedem Southern-Walker, daß am Nachmittag vier Zugladungen mit Italienern, Spaniern, Griechen und Nordafrikanern aus ihren verschneiten Heimatländern ankämen, und er fürchte, der Eisenbahndamm würde das nicht mehr lange mitmachen. Man müsse einen Krisenstab bilden.
Nachdem Herr Sonnenschein die Eisbergspitze genossen hatte, wurde er schläfrig.
Da drängelte sich penetrant ein fremdländisch klingendes Lied in die einschmeichelnde Melodie des Dekadensommerhits Isola bella, und der benommene Herr Sonnenschein identifizierte schließlich I bin rääf, rääf, rääf – rääf für die Iinsl.
Insel? Herr Sonnenschein überlegte fieberhaft. Endlich fiel es ihm ein. Der Bericht in SPIEGEL-Online! Die Inseln verschwinden… So war dort vermeldet worden.
„Nu, do gann doch woss nich stimm´… Do Göllner Dom under Wasser… alles under Wasser… bloß de Inseln nich? Nää, do gann woss nich stimm´…“

rääf, rääf, rääf, rääf für die Iinsl

„Isch ooch! Bin isch meschugge?“

Er beschloß zu erwachen. Da kehrte sich seine ursprüngliche Art zuoberst, und er schrie ungeduldig: „Unodue formaddschio, pardongschio, Tschelado, von Eisbergspitze, prägo, dalli!“
Er lag schwitzend auf der höchsten Spitze des vom Eise befreiten Großglockners im Liegestuhl, und alles Getier der Welt, von jedem ein Pärchen, alle in Gummistiefeln, hatte sich um ihn versammelt.
Da wurde Herr Sonnenschein ganz sanftmütig. „Gönn´ wa do Mutto Erde de wohlverdienten Wechseljahre. Kommt zwar ´n bischn friehe für des jugendlische Ollder von 13,7 Milliarden Jahren… aber… wenn se sonst geene Schwierigkeiten macht… nu, un überhaupt, von der Sache her, da ham se so ne Wissenschaftler, wo nischt wissen… warum froochn se nich einfach mal ´n Frauenoorzt?“

Es war der Silvestertag des Jahres 2114. Von Süd wehte ein trockener, lauer Wind und trug eine Taube heran, die einen Ölbaumzweig im Schnabel hielt.