Land des Lächelns

(Nachlese, kaum des Grinsens wert)

Wussten Sie, dass es zwei Dolchstoßlegenden gibt? Die bekanntere ist die vom Verrat vaterlandsloser Gesellen in Zusammenarbeit mit dem internationalen Judentum nach dem ersten Weltkrieg.
Die andere wird uns demnächst zunehmend beschäftigen, und dann wird sich auch herausstellen, ob es sich tatsächlich um eine Legende handelt.
Das Land des Lächelns kennt der Musikfreund von der gleichnamigen Operette von Franz Lehár.
Dieses Werk spielt in China. Wo nur gelächelt wird.
Vom Chinesen wird behauptet, er lächle auch dann, wenn er seinem Gegenüber während einer innigen Umarmung den Dolch von hinten ins Herz stößt. Deeiin ist mein ganzes Herz… hören wir deshalb im Land des Lächelns von Franz Lehár.
Nach China brauchten wir deswegen in den letzten Wochen allerdings nicht zu reisen.
Blitzlichter und Zähneblitzen eiferten um die Wette in den Fotostudios der Bananenrepublik Deutschland. Aus den Grimmgesichtern des Bundestags wurden überirdisch strahlende Mandarinlarven, denen man sogar die natürlichen, alten Lachfalten wegretuschiert hatte, so sie denn solche überhaupt gehabt hatten. Neue, erst beim zweiten Hinschauen – falls einer überhaupt zweimal hinschaute – erkennbare Konterfeis aus der Botox- und Liz-Taylor-Welt segneten unseren kummervollen Alltag mit ihrer Milde und straften Krise und Apokalypse Lügen. Säuselten sie nicht gütig: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken?
Leider wußte keiner derer, die wirklich zweimal hinschauten, zu wem er denn nun hinsollte.
Die mirakulöse Wandlung erfüllt sich in einer Drei-Phasen-Entwicklung bis zum bittersüßen Ende:
1. Die Vor-Vor-Phase:
Gesicht ohne Maske und Erbarmen (es sei denn, TV-Berichterstattung); Regieanweisung: Mundwinkel nach unten, Augenbrauen zusammen; nicht reden, sondern bellen und keifen
2. Die Vor-Phase:
Botoxbehandlung; Breitenwirkung in Cinemascope; Dein ist mein ganzes Herz (ohne Dolchstoß)
3. Die Nach-Phase:
Wie Vor-Vor-Phase (mit Dolchstoß)

Über die seichte Operette rümpfen Musikpuristen allenthalben die Nase. Warum kriegen wir also nicht einmal eine Oper vorgesetzt? Nein, keine Seifenoper, auch keine Opera buffa, sondern eine Opera seria.
Oder noch besser, ein Oratorium? Da verpflichtet nämlich der Inhalt, und es geht um Ehrfurcht.
Das Lächeln ist die Maske des Heiratsschwindlers, des Illusionisten (auch Zauberer oder Trickser genannt), des Billigen Jakob, des XfüreinU-Vormachers, der Hexe, des Mephistopheles, des Dingdrehers.
Ab Montag, den 28. September 2009 wird die Breitenwirkung all dieser Gesichter jedenfalls wieder in den Requisitendepots verschwunden sein.
Die längsten Gesichter aber werden wir machen, das Wahl-Schafsvolk. Denn vor dem hat keine(r) Ehrfurcht.
Die zweite Dolchstoßlegende ist im Gegensatz zur ersten eben doch keine Legende.