Mut zur Lücke

Auf den Kreuzungen herrschten die Zwei-, Drei-, und Zehnkämpfer: Die Fahrer schrottreif gerumpelter Autos gingen aufeinander los und prügelten sich die Nasenbeine krumm und eckig. Wie immer zu dieser Zeit.
Transpirierende HektomanInnen mit gigantischen Plastiktaschen drängten beim Ein- und Aussteigen auf den U-Bahnhöfen so heftig gegeneinander, dass am Ende ein halbes Dutzend davon japsend auf den Gleisen vor den einfahrenden Zügen die wohlverdiente Ruhe fand. Wie immer zu dieser Zeit.
In den Kaufhäusern kam es zu tumultartigen Szenen, die Ansätze einer ukrainischen Parlamentssitzung zeigten, so dass sich die Sprinkleranlagen ganz von selbst einschalteten.
Nach Art der Lemminge soffen sich Jugendliche von Parks und Diskos aus ohne den Umweg über Ausnüchterungszellen der Polizei in die Kliniken. Etwas heftiger als sonst auch.
Die Kleinen in den Horten und Schulen hoppsten wie die Blechtrommleraffen, spuckten, kratzten, tritten, bissen, rissen sich an den Haaren, weil ihnen die Alten zuhause ein gar vortreffliches Beispiel boten, und das Wehegeschrei war groß. Wie immer um diese Zeit.
Eine Horde konkurrierender Nikoläuse in vollem Ornat lieferte sich eine Schlägerei in aller Öffentlichkeit, statt Kinder zu beschenken. Das war mal was Neues.
Selbst Schäferhund und Perserkatze, das ganze Jahr über in widernatürlicher Buhlschaft lebend, gerieten dermaßen aneinander, dass dem Hund ein Stützverband für beide Ohren angelegt und der Katze eine Vorderpfote amputiert werden musste. Der Papagei hatte von seinem sicheren Käfig aus die beiden angefeuert und sich dabei die Federn ausgerissen vor wollüstiger Erregung.
Nur die polnischen und ungarischen Hafermastgänse, deren altrömische Vorfahren durch ihr hellseherisches Gezeter einst das Capitol gerettet hatten, wurden still, als hätten sie lange vorausgesehen, was ihnen demnächst bevorstehen würde.
Die Naturerscheinungen drehten sich um, wie immer um diese Zeit: Es regnete oder nieselte statt zu schneien. Ein apokalyptisch angekündigter schwachbrüstiger arktischer Windsfott blies dem lauen Zephyr der Klimakatastrophe den Blowjob des Jahres vor und beutelte ansonsten nur ein paar Sensationsreporter mit ihren Kuschelmikrophonen an den Küsten. Und überhaupt regnete es von der Erde zum Himmel hinauf, die Sonne zwängte sich dann und wann ächzend durch den hohen Nebel, tat, als  wollte sie das, obwohl sie es überhaupt nicht wollte, weil es ihr nicht gefiel zu dieser staaden Zeit, in der sie faul war und zu ruhen gedachte.
Kurzum, der Horror war mindestens so schlimm wie immer, wenn nicht sogar, auch wie immer, um das Anderthalbfache gesteigert.

Dann sagte eines Abends der Nachrichtensprecher in der Tagesschau: Guten Abend zum Heiligen Silvesterabend. Wie die Gesellschaft für Konsumforschung GFK heute mitteilte, war der Einzelhandel mit dem Silvestergeschäft sehr zufrieden. Und nun die Wettervorhersage für morgen, den ersten Januar. Gleich anschließend folgen die Neujahrsansprachen der neuen Kabinettsmitglieder. Die Redaktion wünscht ein letztes frohes Fest und geduldige Leidensbereitschaft im neuen Jahr.

Da ließen die Leute Korken knallen, schossen chinesische Kriegsmunition aus Stalinorgeln in dreistelliger Milli0nenhöhe in den Nachthimmel, riefen aah, aah, wunderbar und stiefelten sich volltrunken in den frühen Morgenstunden gegenseitig in U-Bahnhöfen, auf Straßen, Plätzen und vor Kirchen.

War da nicht sonst noch etwas gewesen wie immer zu dieser Zeit? Trotz dieses wie immer irgendwas ganz Besonderes, wo man sich auch gehörig kloppen konnte, wenn man, wie sonst immer, mit den Geschenken nicht zufrieden war?
Ja, es hatte etwas gefehlt. Ist doch scheißegal, was.
Mut zur Lücke?
Änderung der Hochfeste des Kirchenjahres beider Konfessionen im Rahmen der päpstlichen Reformen?
Ach was, die Leute hatten nur das heilige Irgendwas vergessen und überhaupt vergessen, dass sie vergesslich geworden waren in ihrer Freude über den bescheidenen Erzbengel Gabriel, über den huldvollen Maut-König vom niederbayerischen Güllamoos-Festival aus dem alten Geschlecht der Ingoldinger, über die adelige niedersächsische Amazone und endlich über die guten Ergebnisse der neuesten PISA-Studie, aus denen unter anderem das Wort des Jahres hervorging.
Denn GroKo bedeutet GroKotil. Dass is ain kefärliches tir so wi pruno Tär ber.