Schwarz-Rot-Gold

An Fahrradgespannen flattern sie wie Urwaldgestrüpp, das den Fahrer verdeckt – trotz Vermummungsverbot; an ferngesteuerten Modellflugzeugen, an hochhackigen Stöckelschuhen; als indianische Kriegsbemalung auf Wangen und Backen; an Traktoren, Heu- und Mistwagen; an Kuhschwänzen, Elephantenrüsseln und Ziegenbärten; an Doktorhüten, Professorentalaren und Bischofsstäben; zu Hochzeiten, Ehescheidungen, Kindstaufen und Beerdigungen; von Häusern, Kirchtürmen und Automobilen ganz zu schweigen
Die Gesetze der Farbenlehre gelten nicht mehr, nicht in Print-Publikationen, nicht in virtuellen Präsentationen auf Klein-, Groß- und Gigantleinwänden, nicht in der Natur.  Es gibt nur noch schwarz, rot und gold,
Fahnen und Fähnchen, Hemden, Pullover, Strumpfsocken, Brillen, Präservative, Kappen, Hüte, ja sogar Obstkuchen gibt es, schwarz-rot-goldene Obstkuchen  der Nation. Der Nationalobstkuchen hat dem traditionellen deutschen Apfel- oder Streuselkuchen den Rang abgelaufen. Er ist schwarz wie der Klerus, rot wie Ochsenblut und golden wie das, was nicht glänzt.
Denn das Gold ist überhaupt nicht mehr golden, wie es einst war, sondern ziegenbocksaugengelb, ja, mää! So wie das, was beim Euro glänzt wie Gold, schnödes Messinggeschmeide ist.
Da muss eine neue Nationalhymne her. Zum Beispiel nach der alten, unschätzbaren Kulturmelodie „Schwarzbraun ist die Haselnuss“, obwohl die Haselnuss gar nichts dafür kann, Heino auch nicht:

Schwarz, rot, gold ist uns´re Freud
schwarz, rot, gold sind wir,
ja sind wir
schwarz, rot, gold bist du und ich,drum singen wir auch heut´:
Doofi dood, doofi doofi doof, ha ha ha…

Das ist eine Nationalhymne, was? Könnte von Karl Dall sein:

Diese Scheibe iss´n Hit,
wann kriegt ihr das endlich mit?
Diese Scheibe müssta koof´n,
denn die iss wass für die Doof´n.

Und erst, wenn Hunderttausende sie intonieren vor den riesigen Eiger-Nordwänden, die alle Hälse mit den zugehörigen schwarz-rot-gelb-Köpfen in den ersten hundert Zuschauerreihen aushebeln!
Da bebt die Nationalrepublik, und alle Gegner auf dem grünen Rasen von Eskimonien bis Feuerland, von Samoa bis Kamtschatka werden vom großen Muffensausen heimgesucht wie einst, als die Stukas ihre Sirenen einschalteten.
Durch Schwarz-Rot-Gelb nimmt die Nationalökonomie  einen ungeheueren Aufschwung und fegt die letzten Reste der Nationalkrise hinweg.
Wir, die Schwarz-Rot-Gelben, sind wieder Wer. Wir sind nämlich Weltmeister, ob wir es werden oder nicht, das ist zweitrangig.
Ich bin Weltmeister, du bist Weltmeister, er (sie, es) ist Weltmeister; wir sind Weltmeister, ihr seid Weltmeister, sie sind Weltmeister. So wird in Zukunft an den deutschnationalen PISA-Schulen durchkonjugiert. Das reicht für die Bildungs-Weltmeisterschaft. Glück auf!
Nun ja, die Farbe ist wenigstens nicht schwarzbraun. Dieser Schulterschluss wäre im Bedarfsfall freilich ganz schnell vollzogen, und es hieße einfach: was wollt ihr denn, schwarzbraun ist die Haselnuss, nicht scheißbraun.
Mää, mää, mää, doofi, doofi, doof, mää, mää, mää.
Aber man lebe doch mittlerweile in einem Europa, hörte man. Mää – wer weiß, wie lange noch.
Dann werden sie erst ihre richtige Renaissance wiedererleben, die Farben der Nationalisten.