Auferstandene Ruine

Auferstandene Ruine

Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es voller Hoffnung. Die Hoffnung trägt uns Menschlein. Selbst wenn es nach menschleinchem Ermessen keine Hoffnung mehr gibt.
Die Hoffnung hat ihren Stellenwert, einen berechtigten Stellenwert, wenn es um Existentielles geht. Wir wurden schließlich geboren, um uns zu behaupten. Auch wenn in dieser Hinsicht jede Hoffnung von vorneherein aussichtslos erscheint.
Bei Einem geht es offensichtlich inzwischen auch nur noch um die nackte Existenz. Er existiert seit 61 Jahren, und zwar nicht ganz schlecht. Zeitweise zumindest. Angeblich logiert er seit Jahrzehnten in einem nicht gerade billigen Sonderzug nach Pankow und spielt Schalmei zum Zeitvertreib. Singen würde er ja auch gerne und probierte es jahrzehntelang, doch es wurde einfach nichts. Die Gaben sind ungerecht verteilt.
Da tat es einen Schlag. Einen BILD-lich-verbalen Schlag zwar nur, der es aber in sich hatte. Er will nicht auf die Couch!
Da wird man neugierig, und gerade darauf lauert BILD. Man liest also die Schlagzeile nicht nur im Vorbeigehen, sondern bückt sich sogar danach im Supermarkt.
Wer will nicht auf die Couch? Sicher ein Prominenter, obwohl die alle auf die Couch gehören und trotzdem nicht wollen. Warum will er nicht auf die Couch? Das BILD-Kalkül geht auf.
Bin doch kein Quatschomat. Das kann man sich erklären. Hat mit Psychoanalyse wenig zu tun. Einerseits ist Sprechzwang nicht gleich Waschzwang, andererseits gilt Reden soviel wie Silber, Schweigen dagegen wie Gold, ein hehrer Grundsatz. Und wenn einer deshalb nicht quatschen will, warum soll er dann überhaupt auf die Couch? Man gibt dem unbekannten Prominenten Recht, hält ihn sogar für sehr vernünftig.
Also abgehakt. Doch – da ist ein Foto bei, der nächste Trick. Das ist doch dieser, na, dieser ewig junge Sonnyboy, wie heißt er doch gleich… irgendwas mit Schelm oder so. Oder Schalk. Ja, ein engleingleicher Gottschelm. Der war doch mal Lehrer. Ist er etwa Psychiater geworden? Über Fernstudium, so wie die süße Billie Kaulitzova aus einem Tokioter Hotel jüngst zu ihrer Mittleren Reifung kam? Alles kein Problem heutzutage.
Die Neugierde ist wieder da.
Von Null auf Zehn. Als ehemaliger Chartsbeobachter kennt man diese Hoffnungsmeldungen. Jetzt wird´s interessant. Welche Hoffnung ist von Null auf Zehn in die Charts geschnellt?
Nächster Blick: Ein Hut, eine hornige Sonnenbrille, geschürzte Lippen. O weh, die Hoffnung des Deutsch-Rock. Sie ist nicht zuletzt, sondern sehr früh gestorben. Irreversibel.
Aber von Null auf Zehn? Nach so vielen Jahren Hoffnungslosigkeit? Nach so viel linearem Sprechgesang, der an Hans Moser erinnerte, wäre der nicht ein Wiener gewesen? Nach so viel verzerrtem Gitarrengeschepper in unharmonisch aufeinanderfolgenden Harmonien, quer durch den gesamten Quintenzirkel inklusive enharmonischer Verwechslung und Moll-Parallelen? Nach Texten, die dem Lehrbuch des attischen doppelzehigen Maultierjambus entlehnt sind?
Hoffnung ist Mut. Ja, auch der Mut, den Fernseher anzuschalten an diesem Samstagabend. Eines stimmt: Er bekommt einen der vorderen Plätze – in der Programmfolge. Eine Hommage an seine Kunst selbstverständlich. Oder doch mehr aus der Befürchtung heraus, später sei nicht mehr richtig mit ihm zu rechnen?
Die Platzierung des Konsumenten fällt realistischer aus als die versprochene. Von Null auf Null-Null. Immer noch Null-Bock. Immer noch Hans Moser in Hamburg. Immer noch lineare Quatschomanie. Wieder irgendwas mit Durchhängen. Das dauerte doch lange genug, Rocker!
Aber die Hauptplazierung nimmt er wirklich nicht an: Die Couch. Das zeugt von Charakter, den er schon dem alten Honni gegenüber bewies. Bin doch kein Quatschomat. Obwohl man in dem Genuschel nach dem Auftritt etwas von einem „großartigen Album“ zu hören glaubt.
Immerhin geht er aufrecht. Wenn auch leicht staksig. Das gebührt einem 61-jährigen Stehauf mit Hut und horniger Sonnenbrille.
Und, o Wunder, da kommt die Couch zu ihm und wartet demütig. Doch das verbale Selbstpromoting hat Vorrang. Was er trotz gegenteiliger Ankündigung quatscht, interessiert im Grunde nicht, selbst wenn es verständlich wäre. Das Entscheidende ist längst verlautbart: Von Null auf Zehn. So werden Hits gemacht, weiß der Chartskundige, nichts Neues.
Wo bleibt die Hoffnung? Auferstandene Ruine? Nein, gestorben ist sie, endgültig. Und damit doch zuletzt. Denn eine weitere Steigerung des Letzten gibt es nicht.
Nu nimm doch mal endlich den Hut ab, Udo. Damit wir sehen können, ob da nicht eventuell doch ein Spatzennest… Stop! Die Würde des Spatzen ist unantastbar.