Augenblick bitte!

Was ist das?
So überschreibt Dr. Martinus Luther einen Teil seines (Kleinen) Katechismus. Eine rein rhetorische Frage, denn damit beginnt jede Erläuterung der dort auf-ge-stellten Glaubenssätze.
Was ist das? – fragt man andererseits in vielen Bereichen des menschlichen Daseins und seiner Merkwürdigkeiten und will tatsächlich wissen, was da eigentlich los ist.

Was ist das, ein Augenblick?
Ein Augenblick kann zehn Sekunden, fünf Minuten, eine Viertelstunde oder im Extremfall das Warten auf den Sankt Nimmerleinstag sein, je nachdem wie bequem, träge oder auch faul der ist, der damit Zeit gewinnen will.

Es ist der kurze, kaum nachvollziehbare Schlag des Augenlides, ein Augenzwinkern, könnte man stark vereinfacht sagen.
Auf jeden Fall ist es eine Zeiteinheit. Eine unbestimmte, wie wir schon erläutert haben.
In der Musik geht es nicht ohne solche Zeiteinheiten. Ein Takt wird grob aufgeteilt in Ganze, Halbe und Viertelnoten. Letztere wiederum in Achtel, Sechzehntel, Zweiunddreißigstel, Vierundsechzigstel.
Von Hundertachtundzwanzigsteln hat sogar der ansonsten perfide Johann Sebastian Bach abgesehen, denn Vierundsechzigstel sind Ärgernis genug für den Musiker, insbesondere für seinen Geist und seine Finger.
Der Musikant hingegen ist vernünftiger. Er spielt sowas einfach nicht, sondern begnügt sich mit dem Schunkelwalzer im Dreivierteltakt, mal gemächlich, mal furios.

Was sind vierundsechzig Hunderstel?
Bruchrechnung! schreit der schlaue Mathematiker wie aus der Pistole geschossen dazwischen.
Richtig! pflichten wir ihm lobend bei und tangieren damit  die tiefe Auffaltung dieser Rechenart, die im Extremfall ein großes Ärgernis für den unbedarften Schüler darstellt, weil er nie genau weiß, warum er sich damit rumschlagen bzw. wie er das berechnen soll.

Kehren wir zurück zur Zeit, einer Erfindung des Menschen, die ihn verfolgt wie der Zauberlehrling den armen Meister, obwohl sie zu fliehen scheint. Tempus fugit, wie der Lateiner sagt. Das stimmt aber nicht, weil sie uns verfolgt und uns im Nacken sitzt, wenn sie uns gefangen hat. Und wir sind gefangen in ihr, ob wir wollen oder nicht.

Nochmal: Was ist das, was sind vierundsechzig Hundertstel zeitlich, auf eine Sekunde gerechnet?
Bei der Maßzahl 100 für eine Sekunde sind das vierundsechzig Bruchteile einer Sekunde.
Man kann das in etwa veranschaulichen, wenn man die Dauer des gesprochenen Wortes einundzwanzig für eine Sekunde ansetzt und bei einundzw abbricht.
So lange dauert das. Mit Einschränkung, also vielleicht, denn so genau kann man das nicht wissen, geschweige denn sprechen.

Was ist das? dürfen wir nunmehr nicht-rhetorisch fragen,  wissen im selben Augenblick die Antwort und gewinnen gleichzeitig die erschütternde Erkenntnis: Es ist der pure Wahnsinn.
Schlägt ein Augenlid so schnell? Dann ist es eine beachtliche Leistung der Natur.
Schießt ein Maschinengewehr so schnell? Dann ist es Blödsinn genug.

Jetzt stürzen sie sich wieder in halsbrecherischem Tempo und beinahe suizidal anmutendem Fatalismus auf zwei Brettern die steilsten Hänge hinunter und verweisen den Gegner mit vierundsechzig Hundertsteln Vorsprung auf den verdienten zweiten Platz  Augenblick bitte, bin gleich unten.
Sie riskieren Genick und andere Knochen für den Augenblick.
Den voyeuristischen Zuschauern an den Pisten gefällt es, wenn sie sich die Knochen brechen

Augenblick bitte! Wie bitte? Ist der Mensch wirklich so? Was ist das?
Ja, so ist der Mensch. Vor allem aber ist er nicht mal eine Trilliardstelsekunde in den Zeitläuften.
Aber… das ist ja… nichts…
Exakt, genauso ist das.