Sapientia Bavariae

oder:
Wo gehobelt wird, fällt auch Spaenle

Zurikke bringt keen Glikke sagte man einst in Schlesien. Mit anderen Worten: Man soll nicht zurückschauen.
Manchmal aber wäre es angebracht.
Mit dem Lehrplan für bayerische Grundschulen von 1971, basierend auf der Curriculum-Forschung und dem Grundschulkongress in Frankfurt vom Oktober 1969 wurden schließlich auch in Bayern grundlegend neue Wege im Bildungs- und Schulwesen eingeschlagen. Ohnehin kaum zu glauben.
Deutsch: Entsprechend den neuesten Erkenntnissen der Sprach-, Kommunikations- und Literaturwissenschaften durch die gesamte Grundschulzeit hindurch umfassende mündliche und schriftliche Sprachgestaltung; analytische und interpretatorische Textarbeit; systematisierte Sprachlehre; Sicherung des Sprachbesitzes durch, soweit möglich, regelgerechte Rechtschreibung.
Mathematik: Erschließen von mathematischen Denk- und Betrachtungsweisen, z.B. das Lösen von Gleichungen und komplexen Sachaufgaben durch das operative Prinzip und Lösungsstrategien.
Die sog. „Mengenlehre“ hingegen war ein grandioser Fehlschuss.
Gliederung des Faches Sachkunde in Fachbereiche: Geschichte, Physik/Chemie, Biologie, Soziallehre, schülergerecht vorgegeben und aufbereitet.
Didaktisch/methodisch: Lernzielorientierung, methodisch durchstrukturierte Einzelschritte des Lehr- und Lernprozesses; Einführung von Sozialformen des Unterrichts wie selbsttätige, eigenverantwortliche Gruppenarbeit statt Frontalunterricht; entdeckendes Lernen durch Experimentieren; äußere/innere Differenzierung.
Professionalisierung des Lehrerberufs.
(s. Kitzinger/Kopp/Selzle: Lehrplan für die Grundschule in Bayern mit Erläuterungen und Handreichungen, Donauwörth 1973)
Haupt- und Realschulen sowie die Gymnasien zogen schnell nach.
Es dauerte nicht lange, denn das war alles nur das verdächtige Gedankengut der 68er. Weg damit. Stattdessen: Rückkehr zu Drill, infantilen Unterrichtsinhalten und Methoden, in Summa Gängelung mit dem Ziel der neuen Unmündigkeit von Schülern und Lehrern.
PISA stand alsbald drohend am Horizont.
Nun ist neuer Katzenjammer angesagt: Die Leistungen im  komprimierten G 8 seien signifikant abgefallen, beklagen Schulleiter und sogar die Ministerialbürokratie im gemeinsamen Wehgeschrei.
Die Geister, die sie riefen?
Welche Geister?
Wer rief?
Eltern, die bereits lange vor der Zeugung ihrer Kinder die akademische Karriere planten, die eine einseitige, vorteilhafte Demokratie einforderten, als es ein Crash-Kurs in Pädagogik, angeleitet durch Frauenzeitschriften wie „Eltern“ oder „Brigitte“ nicht mehr tat?
Die Politik, die Wählerstimmen witterte und jedweder Egalisierung bedenkenlos zustimmte? Die endlich das Bildungsideal der Bremer Stadtmusikanten zum Non plus Ultra erhob und beim Kanalisationsabitur landete, nachdem man auch die sechsstufige Realschule einführte, damit der Hauptschule jeden Grund unter den Füßen entzog und sie zur Hilfsschule für die ewig Benachteiligten degradierte?
Aber nein doch! Die Hauptschule existiert weiter und wird sogar Mittelschule. Das Kind hat einen neuen Namen, auch wenn der ihm nichts nützt, weil es auf dem Weg in den Brunnen ist. Wären die ewig Benachteiligten doch von höherer Geburt gewesen! Selber schuld.
Drei Viertel der Gymnasiasten gehören nicht dorthin, wo sie nun ein grausames Dasein fristen bis hin zum Amoklauf.
Abiturienten, die sich Studiengebühren nicht leisten können, müssen weg von der Straße, wo sie gefährlich werden könnten und rein in die Sparkassen, Überweisungsträger ausfüllen und sortieren.
Hurra, der Bildungsnotstand ist überwunden, stattdessen brummen die Ministerialkompressoren.
Der Notstand der Gebildeten hat aber auch einen Vorteil: Die Expertisen der Experten werden künftig für jedermann erschwinglich sein, so daß Herr Hinz dem Herrn Kunz im Wirtshaus fachgerechtes Experten-Paroli bieten kann.
Ist es noch nicht genug mit dieser Schwätzerrepublik, ob im Parlament, in der Wirtschaft, bei den Finanzen, in den Wissenschaf-ten? Man wähnt sich im Hühnerstall, in dem der Fuchs umgeht.
Die Pfründe sind längst vergeben und gut gesichert. Lüge, Betrug und Rosstäuscherei haben Hochkonjunktur. Da helfen auch keine Expertisen der Experten mehr.
Warten wir also getrost ab, bis wieder die Faust regiert?
Und nochmal: Aber nein doch!
Schulminister Spaenle verspricht, einzugreifen. Will er das G 8 zurücknehmen? Dann auf nach Schilda.
Will er alle privaten Nachhilfeinstitute verstaatlichen und nebenbei sogar der Präsident einer entsprechenden Dachorganisation werden? Bei der Nachhilfe wird schon jetzt so gut verdient wie im Bestattungsgewerbe.
Eilen Sie, Herr Minister, denn auch Sie werden fallen, wenn anständig gehobelt wird.