Tischlein deck dich und andere Märchen

oder
πάντα ρεϊ (griechisch: Alles fließt)

Einst soll es eine wundersame Brot- und Fischvermehrung in der Gegend um den See Genezareth gegeben haben. Da wurden aus fünf Broten und fünf Fischen genug für Fünftausend.
Ein König namens Midas brauchte nur mit dem Finger an einen Stein zu rühren, und der wurde prompt zu purem Gold.
Ein anderer König, dem diese Gnade nicht vergönnt war, ließ eine Müllerstochter Gold aus Stroh spinnen.
Packte man einen Esel am Schwanz und läutete Sturm, so purzelten aus dessen sonst eher profanem Feucht-gebiet darunter blanke Golddukaten auf die Erde.
Viel später, als die Menschen kein Ohr mehr für Märchen hatten, also im Zeitalter der Aufklärung, schnupperten Alchimisten an der brandheißen Spur der wissenschaftlich fundierten künstlichen Goldher-stellung und schufen wenigstens Katzengold.
Das waren noch Zeiten, was?
Heute ist, dem Geld gegenüber, nicht mal mehr Gold etwas wert, obwohl es dem Gold seinen Namen verdankt.
G e l d ! Man lasse sich dieses Wort auf der Zunge zergehen wie gut abgehangenes Carpaccio oder ein Zitro-nensorbee.
Und es vermehrt sich auf ebenso mirakulöse Weise wie seinerzeit Brot und Fische, Steingold, Strohgold, Eselsgold und Katzengold.
Das verdanken wir Königin Angela Midasina. Sie ist beileibe keine Faschingsprinzessin, wie viele Schand- und Lästermäuler es ihr nachreden, sonder tippt dem Hofkämmerer, seines Zeichens  diplomierter Wirt des Volkes, nur auf die Schulter, und Geld fließt. Panta rei, sagten die Griechen.
Sie packt den Hofcellerar, einen mittelständischen Müllermeister, nur an der Krawatte, und er spuckt Geld auf das Tischlein deck dich.
Wer von beiden demnächst Geld aus Stroh, sprich, aus Butterbrotpapier spinnen läßt, ist noch nicht auskartelt.
Nur der Brotvermehrer von damals fehlt in der Runde. Es fand sich auch bisher kein geeigneter Nachfolger. Viel zu gefährlich, nicht nur vor 2000 Jahren. Heute deshalb, weil dieser Job den Lebensmittelspekulanten wie ein Stachel im Fleisch sitzt.
Freilich bleibt trotz aller Aufgeklärtheit durch professionelle Experten ein veritables alchimistisches Rätsel, nicht nur  der altbekannte Tropfen, sondern ein ganzes Barrel von Wermut übrig aus all diesen Märchen: Wie kann es sein, daß die Königin jenen, die sie vorher ständig angepumpt hatte wie alle ihre Vorgänger, nun hunderte von Milliarden aufdrängt, weil diese sie auf einmal nicht mehr haben? Ist es der Rest von dem, was sie vorher von ihnen gesamtschuldnerisch im Namen des Volkes aufnahm? Kann nicht sein, weil davon nichts mehr da ist. Alles verflossen, panta rei.
Gibt es vielleicht einen großen geizigen Unbekannten, der in sich ging und spendabel geworden ist? Etwa gar… Dagobert Duck?
Fehlanzeige, denn sogar dessen Dukatentempel ist leer bis auf den Grund. Ganz ohne die gefürchteten Panzerknacker.
Panta rei, alles fließt. Ei freilich, den Bach runter. Noch nie sah eines Menschen Auge einen Bach aufwärts fließen. Vor allem, wenn er kein Wasser führt.
Aber möglicherweise ist das bei KönigInnen, Müllermeistern oder diplomierten Wirten des Volkes ja anders, denn auch der Blinde findet mitunter ein Nugget.
Doch wehe, wehe, wenn, wenn ich auf das Ende sehe, wenn der Knüppel aus dem Sack fährt!
Aber auch für diesen Tanz sind sie gut gerüstet. Die Bundeswehr steht Gewehr samt Bajonett bei Fuß. Da kann der Notstand ruhig kommen. Die Gesetzespakete dafür sind längst geschnürt.