Tolle Nummer

Heiter dachte Herr Bleibtreu zurück an 1984. Hatte für jenes Jahr nicht irgendein britischer Spinner die Apokalypse angekündigt? Wie oft hätte diese Welt denn eigentlich schon untergehen sollen? Und dann schon wieder 1987, wegen einer Volkszählung, Makrozensus genannt. Er hatte das damals nicht ganz verstanden und zuerst für eine Makrelenart gehalten.
Dann war es ihm langsam gedämmert und dazu das Lukas-Evangelium eingefallen: Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augusto ausging, dass alle Welt geschätzet würde.
War das so mikro gewesen? Alle Welt? Und war etwa die Welt untergegangen? Nein, sogar ein neuer Stern war aufgegangen.
So makroapokalyptisch könnte folglich nicht mal ein moderner Zensus sein, dass er die Welt zum Untergehen brächte. Lachhaft, dachte Herr Bleibtreu, als er es endgültig begriff und mit seinem treuen Weibe einen karibischen Apokalypso darauf tanzte.
Jetzt schreiben wir 2011, dachte er weiter in der Weise, wie er zu denken pflegte, und ein neuer Zensus steht an. Was also sollte daran apokalyptisch sein? Da kriegt jeder eine Nummer. Wegen des Datenschutzes. Sicherer kann es nicht sein.
Nummern bzw. Ziffern kann man zwar lesen, aber sich nicht vorstellen, was dahinter steckt, so seine Einsicht. Zum Beispiel, wenn es in den Bereich von Billionen geht. Deshalb braucht man beispielsweise für die Einsicht in die Einsichten der Geldmarktmacher die höheren Weihen. Durchschauen ist nämlich nicht der Sinn der Sache. Es geht schließlich um Systemrelevanzen. An den Entscheidungen und Handlungen von Weisen zu zweifeln, fiel ihm im Traum nicht ein. Auch da dachte Herr Bleibtreu so, wie sein Name es ihm vorschrieb.
Herr Bleibtreu erwartete daher fröhlich den Makrozensor, der wie damals den Bogen ausfüllen würde und half ihm wie damals nach bestem Wissen und Gewissen.
Wenige Tage nach seiner Erfassung im Zensus 2011 bekam Herr Bleibtreu weiteren Besuch, den er eigentlich nicht erwartet hatte.
Die Herren wiesen sich mit Marken aus, die an Kettchen hingen und beziffert waren.
Deshalb blieb ihm auch verborgen, dass es sich bei den Besuchern um Beamte des Finanzamts, des Staatsschutzes, des Bundesnachrichtendienstes, des Verfassungsschutzes, des Militärischen Abschirmdienstes sowie der vatikanischen Glaubenskongregation handelte.
Man hätte die Herren für Kammerjäger halten können, die in Schränken, Schubladen, Truhen und dem Ehebett die gemeine Küchenschabe aufspüren wollten.
Oder für besonders innovative Innenarchitekten, die Fußböden, Tapeten und sogar den Vollwärmeschutz zerlegten, um sie auf ihre Qualität zu evaluieren.
Oder für Journalisten, die Rat von ihm einholen wollten über die Geschichte des Kommunismus, des Wahabismus und die Erfindung des Schießpulvers.
Und sie waren ausnehmend freundlich gewesen. Wegen der Bewirtung mit Kaffee und der halben Schwarzwälder Kirschtorte, die Herr Bleibtreu noch von seinem Geburtstag übrig gehabt hatte.
Herr Bleibtreu wurde dafür am Ende auch belohnt: Er durfte sich zwei Jahre lang auf Staatskosten in Stammheim untersuchen lassen, bekam danach von der amerikanischen Regierung einen einjährigen Kur- und Konzentrationsaufentalt in Guantanamo geschenkt, hatte nach seiner Heimkehr einen halbjährigen Anspruch auf eine nächtliche Führung pro Tag durch die Keller der Inquisition in Rom und durfte ein weiteres halbes Jahr lang die Steuerfahndung in seinem Haus weiter mit Schwarzwälder Kirschtorten bewirten.
Nach vier Jahren flatterte Herrn Bleibtreu ein Brief ins Haus – ein amtlicher Brief vom Bundesamt für Makrozensuren. Nanu, dachte er, der den Zensus längst ad acta mentalia gelegt, sprich, vergessen hatte, in meinem Alter noch Zensuren? Und makro dazu? Dann las er:

Sehr geehrter 000245843788191583295,
wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir in o.a. Nummer einen Fehlerteufel entdeckt haben, einen sogenannten Zahlendreher. Der Fehler wurde inzwischen behoben. Gleichzeitig wurde fristgemäß Ihre Akte gelöscht. Dazu gratulieren wir Ihnen herzlich.
Mit vorzüglicher Hochachtung und bis zum nächsten Mal
Ihr Makrozensor Georg Friedrich Orwell.

Tolle Nummer, dachte Herr Bleibtreu. Und wenigstens mal keine Lachnummer.