Halt! Stop! Das ist Folter! Sperrt sie ein, diese Rabeneltern! Schickt sie in die Wüste, diese Wüstlinge von Pädagogen, die vorgeben, unsere Kinder zu erziehen!
Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.
Der Richter: Wenn Sie jetzt noch einmal einen totschlagen, Angeklagter…
Die Sekretärin: Wenn Sie mir jetzt noch einmal an die Brust greifen, Chef…
Der Malermeister: Wenn du jetzt noch einmal daneben pinselst, du Herr Auszubildender…
Der Seelsorger: Wenn du noch einmal sündigst, Verruchter…
Lauter Folterer. In den USA kriegt der Gefolterte dafür gut und gerne eine Billion Schadensersatz.
Es ist ja alles bereits wieder vergessen: die Weigerung eines Kindsmörders, das Versteck des von ihm entführten Buben preiszugeben; der leitende Kriminalbeamte, der zur Verantwortung gezogen wurde für eine Drohung, bei der es um das Leben des Kindes ging; dass das Kind bereits tot war, erstickt.
Dafür wurde in allen Kommentaren der Rechtsstaat bemüht bis zum Erbrechen. Rechtfertigung: Wehret den Anfängen.
Man erteile den Kommentatoren Dispens. Sie bemühten sich um die Erhaltung unserer höchsten Errungenschaft, die Demokratie. Zu schnell ist man plötzlich Verfassungsfeind, nicht wahr? Vor allem, wenn man eine der Errungenschaften in Zweifel zieht.
Der Täter indes wurde nicht vergessen, weil er es in seiner Abgefeimtheit brillant verstand, seine juristischen Kenntnisse, ausgerechnet in der förderlichen Atmosphäre des Knasts vervollkommnet, zu nützen, um Schmerzensgeld zu erstreiten.
Er ist auch kein Verfassungsfeind, wenn er die Errungenschaften der Demokratie nützt.
Er erlitt schließlich Schmerzen. Durch Androhung von Folter.
Aufgepasst, ihr Ärzte und Zahnärzte, bevor ihr die Spritzen ansetzt. Und noch mehr aufgepasst, falls ihr es wagt zu drohen, ohne Spritze zu operieren. Beides ist Folter, verstanden?
Aufgepasst, ihr Scharfäugigen, wenn ihr einen anschaut. Jegliche Art von durchdringender Fixierung ist Folter.
Aufgepasst, ihr Scharfzüngigen, wenn ihr einen ansprecht. Jede Art von gewürzter Rede ist Folter.
Am meisten aufgepasst, ihr Schreiberlinge. Anhand eures vorwitzigen Geschreibsels kann man euch sogar festnageln wie bei einem Vertrag.
Doch da ist noch eine andere Seite.
Der Staat beansprucht aufgrund seines Gewaltmonopols das Recht des finalen Rettungsschusses, wenn Leib und Leben einer Geisel unmittelbar bedroht sind.
Klar, da braucht nicht mehr gedroht zu werden mit hochnotpeinlicher Befragung, da wird auch kein kurzer Prozess gemacht. Es genügt die unmerkliche Fingerkrümmung eines Scharfschützen, ganz legal.
Hatten wir Ähnliches nicht schon mal, als SS und Polizeikompanien hochgefährliche Saboteuere und Partisanen – im Klartext Juden – in die Massengräber hineinschossen, ganz legal?
Oder dass später NVA-Grenzarmisten für jeden finalen Rettungsschuss auf Provokateure und Grenzverletzer – im Klartext Flüchtlinge – eine stattliche Geldprämie mitsamt ehrenurkundlicher Belobigung bekamen?
Wie heißt die Galaxie, in der wir leben?
Es ist die Galaxie der unbegrenzten rechtsstaatlichen Unmöglichkeiten.
Aber über dieser wölbt sich ebenso der Himmel, der uns fürderhin bewahren möge vor solchen Teufeleien.
Man kann´s jedoch auch ganz irdisch sehen. Wie der ehemalige Verfassungsrichter Di Fabio zum Beispiel, der erklärte: Auch das Grundgesetz ist nicht sakrosankt.
Darüber herrscht erfreulicherweise inzwischen weitgehender Konsens. Und weil eure Worte leer sind, lasst endlich Taten folgen, ihr Damen und Herren Volksherrschafts-Gesetzgeber, ausnahmsweise mal nicht für eure Lobby. Für den Fall, dass ihr euch wenigstens noch einen Rest an Glaubwürdigkeit bewahren wollt.
Denn wenn man das Volk sowieso nur noch hinters Licht führt, sollte man wenigstens einem Bruchteil seines gesunden Rechtsempfindens Rechnung tragen.
Frommer Wunsch… gewiss.