Wir sind das Volk!

Hand auf´s Herz: Wer hätte je gedacht, daß man das in westlichen Ländern mal besonders betonen muß?
„Demokratieverdrossenheit“ macht die Runde und ist schon fast wieder zu Brei getreten.
Auch gleich vorweg: Nur ein Beknackter kann ernsthaft an der Demokratie rütteln wollen nach allem, was in unserer unseligen Vergangenheit geschah.
Aber – was ist Demokratie? Oder sollte es wenigstens sein?
Herrschaft des Volkes, wörtlich übersetzt. Legislative, Exekutive, Jurisdiktion, alles schön voneinander getrennt. Parlament mit Abgeordneten, vom Volk gewählt, die nur ihrem Gewissen verpflichtet sind. So hat man es in der Schule gelernt.
Demokratie in ihren Ursprüngen gab es, so heißt es, schon im antiken Griechenland.
In einer Gesellschaft, die sich Sklaven hielt? Menschen, die nichts anderes waren als frei käufliche und wiederverkäufliche Ware, Nutzvieh?
War es dann nur eine schöne Idee?
Nein, denn es gab und gibt durchaus ernst zu nehmende Ansätze. Es ist deshalb keine Verdrossenheit an dem, was man gerne hätte. Wäre auch völlig unlogisch in sich.
Es ist die altbekannte Verdrossenheit an denen, die eine gerne gehabte Demokratie verhindern, jeden Ansatz zunichte machen und jeden Keim ersticken durch ihr Verhalten. Es ist die Verdrossenheit an Oligarchen, die diese Laufbahn ganz bewußt eingeschlagen haben.
„Demokratie“ in einer solchen Erscheinungsform kann lediglich eine Worthülse, ein Papierengel sein und bleiben, solange sie von schamlosen Politikern mit Füßen getreten wird, denen in tatsächlich freien Wahlen vertrauensvoll die Verantwortung übertragen wurde, die sie freilich nur zu ihrem persönlichen Vorteil nützen. Solange unangreifbare Wirtschaftsbosse anstelle der Sklaven oder Leibeigenen früherer Zeiten jetzt das „freie“ Volk zum Nutzvieh degradieren.
Kein Zweifel kann aber auch darüber bestehen, daß jegliche Erscheinungsform von Demokratie reformwillig und -beständig sein, neuen Gegebenheit angepaßt werden, wirklich wehrhaft sein muß um ihrer selbst willen. Im Klartext, daß auch einschneidende Maßnahmen in Erwägung gezogen werden müssen, die bei erster, unreflektierter Betrachtung vielleicht undemokratisch erscheinen mögen. Beispielsweise die Frage der Toleranz gegenüber denen, die an der Demokratie sägen, sie zerstören wollen. Erhoben nicht diejenigen, die die Notstandsgesetze einführten, genauso den Anspruch, Demokraten zu sein wie die, die diese Gesetze auf das heftigste bekämpften?
Der Normalmensch hält nicht die andere Wange hin, wenn er auf die eine geschlagen wurde. Warum sollte die demokratische Gemeinschaft diesem höchst fragwürdigen Prinzip folgen.? Sie, die ohnehin bisher nur die organisierte, geordnete Form des wirtschaftlichen Wohlstandes war, würde wie zu den Zeiten der Weimarer Republik tatkräftig ihr eigenes Grab schaufeln.
In ihrer Krise, also in naher Zukunft, erweisen und bewähren sich Funktionsfähigkeit und mehr noch, Wahrhaftigkeit.
Wie wäre das zu meistern? Folgende Gedanken können nur ein Minimalkatalog sei.
Oberste Verpflichtung jeglicher Gemeinschaft ist die Verwirklichung von Recht für jeden. Es kann nicht sein, daß Gerichte auf verschiedenen, sich oftmals widersprechenden Ebenen immer wieder Urteile fällen, die selbst unter Juristen nicht nachvollziehbar sind. Daß Recht an Formalien scheitert. Daß Rechts-„wissenschaft“ am Leben vorbeigeht. Daß das Recht ungerechtfertigte Vorteile gewährt und damit zum Unrecht wird.
Denk- und Entscheidungsmaxime eines jeden Richters muß die gültige Werteordnung sein, die sich in der Moderne orientiert am Gedankengut von Aufklärung und Liberalismus, welche die Grundsteinlegung der Demokratie möglich machten, sprich, die Beseitigung von Willkür, Unterdrückung und Ausbeutung. Es müssen unzweideutig festgelegte Ermessensspielräume für wirksame juristische Entscheidungen geschaffen werden, die Schlupflöcher in den Netzen schließen können.
Die bestehende, heimliche Bespitzelungspraxis in Betrieben und Behörden muß bekämpft, bestens ausgebildete und streng kontrollierte V-Leute in eindeutig verfassungswidrigen Organisationen dürfen jedoch nicht behindert werden.
Umfassend modifiziertes Denken im Erziehungswesen ist gefordert. Wie kann es sein, daß Schüler einer Null-Bock-Gesellschaft es sich mit Unterstzung ihrer Eltern ungestraft erlauben, Lehrer coram publico als Arschlöcher zu titulieren und krank zu machen?
Demokratie darf keine Staatsform sein, die es ermöglicht, daß jeder dem anderen auf der Nase herumtanzen, ihn belügen und betrügen darf, ohne ernsthafte Sanktionen befürchten zu müssen.
Was obliegt der Gesetzgebung und den Ausführungsorganen? Genauso wie die demokratisch legitimierten Staatsorgane eingreifen, wenn es um innere oder äußere Sicherheit geht, müssen auch auf wirtschaftlichem Gebiet notfalls staatsdirigistische Maßnahmen eingeleitet, muß per legem in die Freiheit der Marktwirtschaft eingegriffen werden, um den Saubermännern in kryptischen Wirtschaftsgiganten globaler Art das Handwerk zu legen, sollte diese Marktwirtschaft weiter ihren sozialen Auftrag mißachten und damit eine Gefahr für den sozialen Frieden heraufbeschwören. Das schließt ein, daß jeglicher Lobbyismus und Beraterunwesen der Wirtschaft und deren Einflußnahme auf politische Entscheidungsträger zugunsten eines zahlenden Auftraggebers unerbittlich kontrolliert und nötigenfalls verboten werden muß.
Angesichts „globaler“ Verflechtungen nützt es nichts, solange potentiell wirksame Maßnahmen auf ein Land beschränkt sind. Die G-8-Staaten, die sich hin und wieder zu schönen Schwätzchen treffen, sind damit untereinander in der Pflicht.
Parteienungetüme und deren Filz von Karrieristen und Selbstbereicherern werden abgeschafft.
Stattdessen stellen sich Fachkräfte, auf die – warum nicht – der zu Unrecht anrüchige Begriff „Technokraten“ zutreffen kann, die einen einwandfreien Leumund sowie fachliche Höchstqualifikation nachweisen, demokratischen Wahlen auf allen Ebenen, Kommune, Kreis, Regierungsezirk, Land, Bund. Den Wahlen gehen Ausscheibungen von Spezialistenressorts und Bewerbern voraus. Das Mandat ist zeitlich begrenzt, eine Wiederwahl nicht möglich.
Jeder dieser spezialisierten Mandatsträger haftet mit seinem Privatvermögen für Entscheidungen, die er getroffen und zu verantworten hat.
Während seiner Amtszeit hat er sich wiederkehrenden, unangekündigten Kontrollen durch vereidigte Rechts- und Wirtschaftsprüfer zu stellen. Damit einher geht eine Strafrechtsreform, die hohe, existenzbedrohende Strafen für Korruption, Vetternwirtschaft, Küngelei und Vorteilsnahme beinhaltet.
Die derzeit gängige Gutachterpraxis, die der Bestechung Tür und Tor öffnet, wird verboten.

Die durchaus vorhandene Gefahr, daß sich die Demokratie damit in den eigenen Schwanz beißt, muß in Kauf genommen, die Menschen gerade deswegen weiter sensibilisiert und mündig gemacht, statt weiter entmündigt zu werden. Das hieße zum Beispiel Volksentscheide nicht behinden, sondern großzügig ermöglichen und fördern.

Kühn, utopistisch, undurchführbar?
Möglich. Weil der Mensch – dessen Verhalten in den archaischen Zeiten der Nahrungsbeschaffung und der daraus resultierenden Vorratshaltung begründet ist – zum Raffen neigt. Wie es mit dem abstrakten Moralbegriff in Einklang zu bringen ist, weiß der Verfasser nicht, denn der ist göttliches Gesetz. Wer es anders will: Der Auftrag einer in vielen Jahrtausenden gemeinschaftlichen Zusammenlebens entstandenen Werteordnung.
Wird aber der im allgemeinen Bewußtsein verankerte Moralbegriff, erstmals katalogisiert und konkretisiert in den Zehn Geboten, verletzt, müssen harte Sanktionen folgen. Das Recht, ja sogar die Pflicht dazu hat jeder Mensch.
Illusorisch, hirnverbrannt, lächerlich?
Mag sein. Aber eventuell doch einmal nachdenkenswert für den, der wenigstens bereit ist, darüber nachzudenken.
Demokratie heute noch immer auf eine formale Schuldefinition zu reduzieren, hieße, die Augen verschließen vor allen kriminellen Be-gleitumständen, die sich eingeschlichen haben und die Menschen wieder in Abhängigkeiten sowie Armut treiben wie zu den Zeiten der Sklavenhaltergesellschaft oder des Feudalismus.
Geschieht nichts, wird diese Demokratie in dem Feuer verbrennen, das sie durch einseitige Pseudofreiheiten falsch verstandener Liberalität selbst ermöglichte.