Christkindlmarkt, Schelmenroman

CHRISTKINDLMARKT
eine Schelmengeschichte, ca 313 S.
Synopsis

Frederick ist der klassische Meisterdieb alter Schule. Zusammen mit seinem Freund Nasomir, einem Straßenmusikanten aus dem Banat, macht er sich auf zum „bekanntesten und schönsten Christkindlmarkt der Welt“ und gerät dort unbeabsichtigt an heiße Ware: Er stiehlt einem Unbekannten einen Behälter mit einer Plutoniumprobe, die, wie sich im weiteren Verlauf herausstellt, eigentlich für den BND bestimmt war mit dem Versuch, eine hohe Geldsumme vom Staat zu erpressen.
Doch auch eine andere Gruppe der organisierten Kriminalität, die eigentlich in einem spektakulären Heroin-Deal unterwegs ist, bekommt Wind von der Sache, will dieses Geschäft nebenbei mitnehmen, und der arme Meisterdieb wird zum Gejagten.
In seiner Not wendet er sich endlich an einen Kriminaler, den er einmal bestohlen hatte, und der unaufhaltsame Behördenapparat beginnt scheinbar anzulaufen.
An höchster Stelle ist man jedoch längst informiert: Der Diebstahl wurde, und jede weitere Entwicklung wird observiert. Die beiden Erpresser sind ein ehemaliger Mitarbeiter des BND auf unterster Ebene, und der Sohn eines ehemaligen Stasi-Offiziers, dem es gelungen war, ein halbes Kilo Plutonium an sich zu bringen. Die beiden lernten sich zufällig kennen und beschlossen in ihrer Einfalt, das Ding gemeinsam zu drehen.
Seit der PlutoniumAffäre sind die Behörden jedoch äußerst sensibilisiert auf derartige Dinge, daß sie die Angelegenheit mit höchster Sorgfalt bearbeiten, um eventuell doch bestehende Hintergründe in den Griff bekommen zu können.
Als Frederick bei der Polizei auspackt, erscheint dort ein hoher Beamter des BND, und es stellt sich zur Überraschung aller heraus, daß der Fredericks ehemaliger Lehrmeister ist. Frederick und Nasomir sind zu Geheimnisträgern geworden, und man weiß nach Abschluß der Ermittlungen zunächst nicht, was man mit ihnen machen soll.
Schließlich ernennt man Frederick zum Ministerialrat im Diplomatischen Dienst, und Nasomir wird Konzertmeister bei den Berliner Philharmonikern.
Frederick genießt das unbeschwerte Leben als hoher Beamter, schreibt seine Lebensgeschichte auf und verordnet sich viele Reisen.
Während einer dieser Reisen wird ihm, dem ehemaligen Meisterdieb, seine Aktentasche mit den Aufzeichnungen gestohlen und erscheint nicht viel später in Auszügen in einer Boulevardzeitung.
Damit ist seine Beamtenkarriere beendet, er ergibt sich in sein Schicksal und macht sich im nächsten Advent wieder auf zum Christkindlmarkt. Dort trifft er auf den alten Nasomir, der ihm einen guten Rat gibt: Er solle gleich hinuntergehen zum Markt und dort vielleicht einen Filmproduzenten bestehlen. Frederick lacht, geht und will einem Mann die Tasche abnehmen. Doch der schnappt ihn. Es stellt sich heraus, daß dieser ein Filmproduzent ist, der an Fredericks GaunerLebensgeschichte großes Interesse zeigt. Frederick will diese Neuigkeit sofort dem alten Freund mitteilen, eilt zurück, und man sagt ihm nun, der alte Nasomir sei doch bereits vor einem Vierteljahr gestorben. Ob er das nicht wisse…

Leseprobe, Schelmenroman, „Christkindlmarkt“

Nasomir war eingefallen, daß es möglicherweise wirtschaftlicher sei, nicht immer mit übergeschlagenen Beinen zu spielen, weil dies von der Kundschaft als Faulheit auf ihre Kosten ausgelegt werden könnte.
So konzertierte er gerade mal eine Viertelstunde in dieser Position und mußte feststellen, daß sich Versuche lohnen können oder nicht, wollte sich also wieder hinsetzen, als sein empfindliches Gehör unangenehm durch lautes Hundegebell angerührt wurde, das vom Hauptmarkt heraufscholl und sich zu seinem Widerwillen verstärkte.
Zuerst sah er die markanten Farbtupfer zweier Grün- und Orangeköpfe, die ihren Hunden nachstoben, sodann einen Menschen, der offensichtlich von den Kötern verfolgt wurde. Als die Gruppe nur noch zehn Meter von ihm entfernt war, erkannte er schlagartig den Gejagten, und die Haare stellten sich ihm zu Berge.

Frreddy, Frreddy, hierherr, komm, schnell, hierrherr!

Aus gemäßigten Blue Spanish Eyes verfiel er in ein Allegretto furioso, bestehend aus nur zwei Tönen, die der nun schlagende und hüpfende Geigenbogen im Nonenabstand aus den Saiten säbelte und damit einen fürchterlichen Mißklang erzeugte, gegen den sämtliche Martinshörner der Stadt zusammen wie eine Weise aus dem Paradies schmeichelten, so daß die Hunde ihre Läufe mit einem Male entgegen der Laufrichtung spreizten, sich hinduckten, die Schwänze einzogen, eine knappe Minute lang in den grauen Himmel heulten und dann winselnd hinter den benagelten Flatterkaftanen der Gefärbten Schutz suchten. Die, von metallischen Wohlklängen der Postmoderne verwöhnt, hielten sich die Ohren zu und wandten sich ab mit Grausen.
Frederick schwitzte und schnaufte und lehnte sich an die Brüstung der Museumsbrücke.

Ich… ich… danke… dir, Naso… mir, mein… Lebens… retter.

Nach und nach kam er zur Ruhe und berichtete schließlich, die farbigen Schnorrer hätten ihn einen eitlen bürgerlichen Scheißer gehöhnt und beschuldigt, sie bestohlen zu haben und ihre vollgefressenen Hundsfötte auf ihn gehetzt.

Ich mag nicht mehr, Nasomir. Die und die Giftler wollen uns jetzt auch noch an den Kragen. Warum erlernte ich so viele Berufe? Die wollen überhaupt nichts lernen und hochqualifizierten Leuten wie mir das Leben schwer machen, es ist allerhand. Und von überallher muß ich diese verdammte Schnulze „Weihnachtsmarkt am alten Dom“, immer nur „Weihnachtsmarkt am alten Dom“ anhören. Du hast es leicht, du kannst selbst bestimmen, was du spielst. Es kotzt mich an. Nein, nein, Ende! Ich werde jetzt noch die Unterlagen des Staatssekretärs an die BILD-Zeitung verkaufen, und vielleicht ist zu Silvester beim Bleigießen noch ein wenig zu verdienen. Dann will ich um Arbeitsunfähigkeitsrente eingeben. Schluß. Aus. Basta.

Nasomir setzte sich auf seinen Klappstuhl und verharrte einige Minuten in Schweigen. Dann sah er Frederick fest an.

Wirr haben geschlossen bilaterrales Abkommen, Herrr Frredderrick, und Sie kennen nicht kindigen alleine es. Unterrlagen sind letzte Rreserrve.

Dann wurde er wieder sanftmütiger, erhob sich, legte dem Freund den Arm um die Schultern und berichtete, auch er habe schmerzliche Unbill ertragen müssen, weil der ignorante Kurden-Alfred plötzlich zu spinnen angefangen, ihm die Geige weggenommen und gedroht habe, sie in die Pegnitz zu schmeißen, wenn er nicht augenblicklich seinen Arbeitsplatz in den Tiergarten verlegen würde. Zum Glück sei eine Doppelstreife vorbeigekommen, die ihm geholfen und Alfred zur Räson gebracht habe.
Erneut machte er eine lange, besinnliche Pause und sah hinüber zum Heilig-Geist-Spital, als ob er sich von Herzen danach sehnte, dort ab sofort seinen Lebensabend zu verbringen wie einst im Mittelalter die Siechen und Bresthaften.
Dann ging einen Ruck durch seinen Körper, und er richtete sich kerzengerade auf.

Haltungg und Wirrde, Freddy! Hierr sind wirr, wirr kennen nich anderrs.

Also gut, Nasomir, mein Freund. Bei den Vierzehn Nothelfern, hier sind wir, wir können nicht anders. Aber ich brauche eine neue Strategie. Vielleicht ist es übergangsweise angeraten, den Menschen beim Tragen ihrer Weihnachtsgeschenke behilflich zu sein.

Am Abend kam er schwerbepackt in die Pension, ging davon und kam nach einer Stunde wieder, nicht minder beladen.

Stell´ dir nur vor, ich mußte ein Zwischendepot einrichten in einer Nische an der Frauenkirche… weißt du… sie würden sie sowieso umtauschen nach den Feiertagen, Nasomir. Ich kenne das. Keiner ist mehr zufrieden mit seinen Geschenken. Warum sollen wir uns dann nicht wenigstens darüber freuen, meinst du nicht? Komm, laß uns auspacken, sonst werden wir bis zum Fest nicht fertig damit.

Als sie anfingen, die kleinen Kartons, länglich, dicklich, rund, hoch, breit, die Tüten, verschnürt, offen, prall, dünn, die größeren Pakete, in Gold- und Silberpapier oder schlichtem, braunem Packpapier liebevoll zu besehen und die Bescherung noch hinauszögerten, begannen ihre Augen zu leuchten wie in den Tagen der Kindheit, als sie vor den Auslagen der Geschäfte gestanden waren und am Ende, sprich, an Weihnachten, nichts davon bekommen hatten.
Plötzlich jauchzte der Alte auf. Er hatte ein kleines Päckchen geöffnet, weil er es nicht mehr erwarten hatte können.

Ein Satz Geigensaiten, Frreddy! Schau nurr! Die hat Chrristkind gebrracht extrra fiirr mich.

Jetzt hielt auch Frederick nicht mehr an sich, und es rauschten die wunderschönsten Weihnachtsgeschenke in die Öde des Pensionszimmers: Zwei Satz Hundepullover mit Höschen und Gamaschen in hellblau und rosa, ein Osterhase mit dem Begleitschreiben, es werde kein Ostern mehr geben, ein Gummiphallus, ein Lorgnon, ein Sezierbesteck, hartvergoldet und mit Zertifikat aus Solingen, ein Paar wunderschöne gelbe Glasaugen in Neonoptik, ein Teleskopschuhlöffel, eine Pappnase, ein in Schweinsleder gebundenes Buch mit leeren Seiten drin, zwei Tüten Ameisenvertilgungsmittel, ein handgedrehter Hanfstrick mit Schlinge, durchwirkt von einer Goldschleife mit der liebevollkalligraphischen Aufschrift Frohe Weihnacht!, eine Schalmei, eine leere Zigarettenschachtel mit der Nachricht Liebling, Rauchen macht impotent, ein Hunderter mit dem queren Überdruck FALSCH, ein Päckchen Kondome der Marke Sieb, das sich feilpries, jeden Kinderwunsch erfüllen zu können selbst bei langjähriger, hartnäckiger Unfruchtbarkeit, eine Blindenbinde samt Augenklappe mit kaum sichtbaren Sehschlitzen.
Hier unterbrach Frederick, der auch gelernt hatte, sich über nichts mehr zu wundern.

Die ist für mich, Nasomir, ein sehr praktisches Geschenk. Ich denke, alles andere können wir getrost weiterverschenken. Wie wär´s zum Beispiel mit dem Strick für Kurden-Alfred? Das Ameisenvernichtungsmittel nehme ich für die Köter, die mich heute um ein Drittel meiner täglichen Sauerstoffration brachten. Vielleicht bekommen sie wenigstens einen tüchtigen Keuchhusten davon. Sehen wir, was der morgige Tag bringt.

Der nächste Tag aber brachte nichts grundlegend Neues, und von Weihnachtsgeschenken könne man nicht leben, konstatierte Nasomir, dessen neue Geigensaiten sich als billigster Ramsch erwiesen hatten, die Kalinka nicht ein einmal bis zum Da Capo überlebten.
Frederick rief daraufhin die vierzehn Nothelfer an und versuchte, an das leibhaftige Christkind heranzukommen, das den Weihnachtsgläubigen zum hundertsten Mal seinen Konsumsegen spendete, doch es war viel zu gut verpackt in Gold und Silber, und der glitzernde Ring an seinem Finger stammte ohne jeden Zweifel aus dem Kaugummiautomaten.
So waren beide rechtschaffen froh, als endlich der Freitag des letzten Wochenendes des christkindlichsten aller Christkindlmärkte anbrach, von welchem sie sich einen entscheidenden Konjunkturstoß erhofften um des Festes des Friedens willen.
Doch die Besucher wurden aggressiver denn je, stießen sich gegenseitig umeinander, beschütteteten sich mit Glühwein und fluchten unweihnachtlich, die Kinder quengelten und wollten immer mehr, Wünsche, die ihnen die Eltern zwar gerne erfüllt hätten, um ihre Ruhe zu haben, jedoch verweigern mußten, weil die Kohle in den Geldbeuteln langsam zur Neige ging, und sie gerade noch für die Erbtante im Altenheim, der es zuzutrauen war, daß sie ihr Testament änderte, weil sie in bester geistiger Verfassung war, für Oma und Opa aber schon nichts mehr kaufen konnten. Das war auch nicht so wichtig, denn von diesen waren sie wenigstens pflichtteilberechtigt.
Mißmutig ging Frederick in ein Kaufhaus, um sich eine weitere neue Hose auszuleihen. Aus dem anfänglichen Ärger über die ständigen Rempeleien dort entstand auf einmal die grundsätzliche Angst um sein Eigentum, denn er wußte, was es bedeutete, angerempelt zu werden. Die Suche nach der Hose wurde somit zu einem grausamen Horrortrip, und er nahm schließlich entnervt irgendeine von einem der Verkaufstische und verzog sich in eine Umkleidekabine.
Als er in den Spiegel der Kabine blickte, fiel ihm plötzlich auf, daß er ungewöhnliche Schatten um die Augen trug. Er erschrak. Waren das nur Zeichen des natürlichen Alterungsprozesses oder möglicherweise einer unbewußten Existenzangst? Letzteres würde ihm wesentlich mehr zu schaffen machte, dachte er kurz und griff nach der neuen Hose.
Doch er griff ins Leere. Verdutzt sah er auf den kleinen Stuhl, auf dem er beide, die alte und die neue, abgelegt hatte. Sie waren verschwunden.

Herrgottsakrament, das darf doch nicht…

Doch, es war. So stand er da in der attraktiven Unterwäsche aus der Boutique und war einige Sekunden völlig ratlos. Es hilft alles nichts, jetzt muß ich in die Totaloffensive, dachte er, ging, wie er war, lässig aus der Kabine und zum Verkaufstisch, wühlte und wählte eine andere aus, während die ansonsten nur gelangweilte und hochmütige Verkäuferin glasige Augen bekam, denn er war ein sehr gutaussehender Mann, schwebte an der Dame vorbei wieder in die Kabine und schlüpfte aus der drittnächsten um zu verschwinden.
Die Verkäuferin indes wartete eine volle Stunde schmachtend vor der ersten, vor welche sie ihm wie in Trance gefolgt war.
Den vierzehn Nothelfern sei Dank hatte er es sich vor langer Zeit bereits angewöhnt, weder Geld noch Papiere geschweige denn ausgeliehene Kreditkarten mit auf seine Geschäftswege zu nehmen. Schön stünde er jetzt da trotz der hinreißenden Männermodedessous.
Er blickte daher erneut mit großer Sorge in die Zukunft. Dabei hatte er noch nicht einen Schimmer davon, was sich demnächst ereignen würde.