Franzl – Keiner weiß wohin, Doku-Roman

W. Weglehner

FRANZL – KEINER WEISS WOHIN

Doku-Roman
289 S.

Synopsis

Man schreibt das Jahr 1936. Franzl Weiss, ein Sinto-Bub mit deutscher Staatsangeghörigkeit, zieht mit Mutter und Schwestern im Wohnwagen durch das böhmische Land. Sie leben vom Verkauf selbstgewebter Stoffe. Die Mutter hegt insgeheim schon lange den Wunsch nach Seßhaftigkeit. Davon ist jedoch der Vater, der als Musikant seinen Teil zum Lebensunterhalt beiträgt und dadurch die meiste Zeit nicht bei der Familie verbringt, aus berechtigten Gründen nicht sonderlich begeistert.
Sie sind auf dem Weg nach Budweis, eine Stadt, wie in der ehemaligen k. und k. – Monarchie Österreich-Ungarn nicht selten, mit gemischter Bevölkerung im Süden Böhmens. Als der Vater, genannt Federn-Bertl erscheint, kommt es zum Streit mit der Mutter, die ihm erklärt, endlich seßhaft werden zu wollen und ihm wieder einmal eine vermutete Affäre mit einer gewissen Jana vorwirft, von der er angeblich einmal im Schlaf gesprochen hat. Daraufhin geht der Vater im Zorn davon.
In Budweis ist auch gerade der österreichische Zimmermann Johann Hochleitner auf seiner Suche nach Arbeit angekommen. In einer Herberge hört er zum ersten Mal von einem Nationalsozialisten namens Konrad Henlein, der glaubt, sich zum Sprecher der sudetendeutsche Volksgruppe machen zu können. Weil er mit den Braunen schon im Bayerischen nicht die besten Erfahrungen gemacht hat, beschließt Johann, am nächsten Tag in seine Heimat Tirol zurückzukehren. Im Truppenübungsplatz Allentsteig im Waldviertel könnte er eventuell Arbeit finden, hatte man ihm gesagt. Das will er versuchen.
Wenig später trifft er mit der Sinto-Familie zusammen und bewegt sie, mit ihm nach Österreich zu ziehen. Zwischen ihm und Mutter Weiss hat es „gefunkt“.
Nach einer unheilkündenden Begegnung mit deutschen SA-Leuten in dem Weiler Strones, dem Geburtsort von Hitlers Großmutter Anna-Maria Schicklgruber, erreichen sie Döllersheim nahe beim Truppenübungsplatz. Dort scheint sich der Traum der Mutter zu erfüllen, denn sie finden eine Wohnung und bekommen beide Arbeit bei der Firma Brettner, die an der Erweiterung des Trup-penübungsplatzes mitwirkt. Franzl besucht die Schule und findet schnell einen Freundeskreis. Bald gehört die Familie zu den Einheimischen. Dennoch kommt Franzl anfangs nicht mit der Seßhaftigkeit zurecht. Hauptsächlich vermißt er den Himmel über den interessanten Neuigkeiten einer sich ständig ändernden Welt, durch die sie bisher zogen.
Die Situation ändert sich schlagartig, als der Führer im Jahr 38 seine Heimat „heimholt ins Reich“. Mißtrauen und Argwohn breiten sich aus in der kleinen Gemeinde, denn das Spitzelwesen beginnt zu blühen.
Die Feier des 1.Mai wird für Franzl zu einem schreckhaften Erlebnis, weil einer der Nazis ihn als Neger bezeichnet. Ein Großteil der Bevölkerung Döllersheims jedoch dreht sich unbekümmert zum Tanz bis tief in die Nacht.
Der Schmied, bekannt für seine locker-lästerliche Zunge, wird von der Gestapo halbtot geschlagen und ins KZ Dachau gebracht.
Das reichsdeutsche Rassegesetz von 1935 tritt auch in Österreich in Kraft. Polizeiminister Himmler erläßt das Gesetz zur Bekämpfung der Zigeunerplage.
Per Verordnung wird Franzl vom Schulunterricht ausgeschlossen, erhält jedoch weiterhin Privatunterricht von Maria, der Tochter des Oberlehrers Seitner.
Unmittelbar mit dem Tod und Schuldgefühlen kommt Franzl das erste Mal in Berührung, als sein bester Freund Steffl Edelmair beim Partisanenspiel am Zaun des Truppenübungsplatzes von einer Tretmine zerrissen wird.
Die Familie wird schließlich von der Gestapo registriert.
Nachdem die Schule gänzlich geschlossen, auch der Pfarrer verhaftet wird, weil er gegen den von den Nazis inzwischen vom Zaun gebrochenen Krieg predigt, und eine Räumung Döllersheims in unmittelbare Nähe gerückt ist, beschließen die drei, mit einem Teil der Firma nach Paasdorf im Weinviertel umzuziehen.
Dort beäugt man den Buben mit mißtrauischem Abstand. Ausgerechnet ein Mädchen, Josefine, Finni genannt, hält zu ihm. Sie werden Freunde, doch eines Tages bewirft man die beiden aus dem Hinterhalt mit Steinen. Finni kommt nicht mehr, und Franzl ist vollkommen im Unklaren, ob sie von ihren Eltern aus nicht mehr darf oder selbst nicht mehr will.
Johann läßt sich auf der Arbeit zu einer unbedachten systemkritischen Bemerkung hinreißen. Nicht viel später erscheint mitten in der Nacht die Gestapo, und trotz heftiger Gegenwehr ergeht es ihm nicht anders als dem Schmied von Döllersheim.
Kurz danach werden die Mutter und Franzl zur Vernehmung durch die Gestapo befohlen und auf das Übelste beschimpft. Daraufhin beschließen sie, zu Onkel Albert nach Sieghartsles zu fliehen. Alles scheint sich zum Guten zu wenden. Franzl bekommt sogar eine Stelle bei der Bahn. Dort verhaftet man ihn jedoch wie aus heiterem Himmel. Im Gefängnis von Groß-Siegharts ist bereits die ganze Familie versammelt.
Dies ist nur ein Zwischenaufenthalt, denn man bringt sie nach Wien ins Polizeigefängnis „Rossauer Lände“. Hier lernt Franzl den jüdischen Oberschüler Simon aus Galizien kennen und hat eine grauenhaftes Erlebnis.
Nach einem weiteren kurzen Aufenthalt im Wiener Landgerichtsgefängnis teilt man die ganze Familie einem Sammeltransport in Viehwaggons zu. Ziel: Auschwitz.
Nur mit Mühe begreift Franzl, was das am Ende bedeutet. Zunächst aber scheint ihm das Glück wieder hold zu sein. Ein SS-Obersturmführer macht ihn zu seinem Ordonnanzburschen, ein anderes Wort für einen Arbeitssklaven. Immerhin wird er sogar kärglich entlohnt für die Botengänge, so daß er Lebensmittel für die Familie organsieren kann, ist aber gleichzeitig den ständigen Schikanen und Demütigungen durch den Sadisten ausgesetzt. Zudem kann er sich, ausgestattet mit einem Passierschein, relativ frei im Lager bewegen. So trifft er auf einen anderen jüdischen Jungen, der ihm erklärt, was es mit dem Gebäude auf sich hat, das Franzl für eine gigantische Heizungsanlage hält. Daraufhin verändert er sich so, daß der Obersturmführer glaubt, er leide an Typhus oder Fleckfieber und ihn ins Krankenrevier schickt. Auf dem Weg dorthin erlebt er das Unvorstellbare und bricht zusammen.
Auf der Krankenstation schreibt man ihn bald arbeitsfähig, denn im KZ Buchenwald werden Arbeitskräfte gebraucht. Franzl wird abkommandiert und erlebt die Vernichtung durch Arbeit. Die nächste Station ist das Lager Mittelbau Dora, wo Häftlinge die angebliche Wunderwaffe zusammenbauen.
Der Aufenthalt dort ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn dieses Lager wird bald mehrfach von alliierten Luftverbänden bombardiert und daraufhin evakuiert.
Damit beginnt der Todesmarsch nach Oranienbaum. Kurz vor Dessau wird die Einheit unter dem Druck der ständigen Beschießung durch Tiefflieger aufgelöst. Die wenigen Übriggebliebenen geraten schließlich in amerikanische Obhut. Man verhört sie, kleidet sie neu ein und schickt sie, ausgestattet mit Proviant für ein paar Tage, wieder fort.
Franzl macht sich auf die Suche nach seiner Familie und kommt so am Ende nach Nürnberg. Dort wird er, trotz der eintätowierten Häftlingsnummer auf seinem rechten Unterarm, wieder verhaftet, weil er keine ausreichenden Papiere hat. In Wahrheit jedoch, weil er ein „Zigeuner“ ist.

Leseprobe, Doku-Roman, „Franzl – Keiner weiß wohin“

Es folgten Tage, vor allem aber Nächte zermürbender Ungewißheit in der engen, schmutzigen Zelle. Der Uniformierte mit dem Schlüsselbund reichte den Essenskübel herein und holte ihn wieder ab, ohne auf die drängenden, bangen Fragen der Inhaftierten auch nur mit einer Silbe einzugehen. Nicht einmal mit den Schultern zuckte er. Franzl kam er vor wie der stumme Strohmann auf dem Feld, ausgestopft und ohne Gesicht, dem man das Stehen beigebracht hatte.
Onkel Albert konnte sich die Verhaftung am wenigsten erklären. Er war mit seiner Familie weitgehend unbehelligt geblieben in diesen schicksalsträchtigen Zeiten, hatte etwas gegolten bei der Bahn und fiel aus allen Wolken, als die Schwägerin ihn nach und nach informierte. Es war folglich nicht überall so, wie es erleben hatten müssen, dachte Franzl. Verfemte Rasse und gleichzeitige Kritik am Nazi-Regiment waren anscheinend die Verbindung, die sich verhängnisvoll auswirkte.
Er sollte sich bald täuschen.
Es war noch stockdunkel, als er durch knallende Stiefeltritte draußen auf dem Gang geweckt wurde. Sie kamen näher, der Schlüsselbund klapperte wie üblich, und die Tür flog auf. Der grelle Schein einer Taschenlampe blendete in die Zelle hinein. Die Kinder, aus dem Schlaf gerissen, fingen sofort an zu weinen.

Raus, alle raus, ein bißchen plötzlich! Mann, stinkt das hier. Das können nur Zigeuner sein.

Fünf oder sechs Mann standen da mit schußbereitem Gewehr und trieben sie nun mit Kolbenstößen über den Flur und aus dem Gebäude. Draußen stand ein Lastwagen mit laufendem Motor.

Hopp, rauf! Wird´s bald. Du da, Bursche, hilf den kleinen Ratten!

Es ging alles so schnell, daß Franzl erst richtig kapierte, als der LKW aus dem Ort hinausrumpelte. Ein empfindlich kühler Wind fuhr unter der Plane durch, so daß die beiden Wachposten, die an der offenen Rückseite saßen, die Mäntelkragen hochschlugen.
Die Gefangenen hingegen hatten nichts Warmes auf dem Leib und froren entsetzlich. Sie rückten unwillkürlich zusammen.
Hin und wieder nickte Franzl ein und wurde ebenso oft von den Stößen des Fahrzeugs und der Kälte wieder geweckt. Die beiden Frauen hielten zusammen die Kinder umschlungen. Onkel Albert starrte vor sich hin. Woran er wohl dachte?
Franzl beugte sich zu ihm hin.

Der Krieg ist hergekommen, Onkel. Ob Dachau oder Wien. Er ist hier, bei uns. Sie haben uns den Krieg erklärt… wie dem Edelmaier Steffl…

Der Vormittag legte einen Hauch wärmender Frühjahrssonne auf die Plane, so daß es zuammen mit der Körperwärme einigermaßen erträglich wurde.
Franzl spitzte ab und zu an den Wächtern vorbei nach draußen. Ihm kam es vor, als fliehe die Straße wie eine rückwärts kriechende Schlange vor ihnen davon.
Wie lange sie unterwegs gewesen waren, konnte er nur ungefähr am Stand der wandernden Sonne abschätzen. Eine Vielzahl an Fahrzeugen folgte der Schlange: Automobile, Pferdefuhrwerke, Kutschen, Radfahrer. Gleichzeitig wuchsen beidseitig der Straße, die immer breiter wurde, eng nebeneinander stehende, ungewöhnlich hohe Häuser, eins fast wie das andere, in den blauen Himmel, der sich der länger werdenden Schatten nicht erwehren konnte. Es mußte gegen Feierabend gehen, und bei der ungewohnten Umgebung konnte es sich nur um eine große Stadt handeln. Viel größer als Budweis, Prachatitz, Eger. Sogar noch größer als Prag. Dann mußte es… ja, es mußte Wien sein, die Hauptstadt.
Franzls Hals wurde immer länger, und über dem Staunen vergaß er beinahe die anderen Umstände.
Ruckelnd wurde er von diesen eingeholt, als der Wagen abbremste und schließlich anhielt. Die Wächter sprangen hinunter.

Alles runter! Schnell, schnell! Antreten! Die Weiber und Kinder dort rüber, ihr zwei Rußgockel bleibt hier, hopp!

Sie trieben die Kinder, die Mutter und Tante Berta um den Lastwagen herum. Ein letzter, stummer Blick traf Franzl, dann waren sie weg.
Er sah an dem Gebäude hoch, vor dem sie standen, bewacht von zwei hinzugekommenen Polizisten in österreichischer Uniform.

POLIZEIGEFÄNGNIS ROSSAUER LÄNDE

Hopp, rein da! Und keine Mätzchen, verstanden? Sonst schießen wir.

Man brachte sie wieder in eine Gemeinschaftszelle, nicht viel größer als die in Groß-Siegharts, aber umso voller und noch dunkler. Schweigende Gestalten kauerten auf dem bloßen Steinfußboden, es mochten 20 sein.
Einer rückte etwas zur Seite und erntete dafür ein unwirsches Brummen seines Nachbarn. Er bedeutete Franzl mit einer matten Handbewegung, sich zu setzen. Onkel Albert folgte der Einladung gleichfalls, so daß Unruhe entstand. Sie hockten da wie die Heringe in der Büchse, und jede Störung durch Neuankömmlinge hieß gleichzeitig, ein Stück des mühsam behaupteten Terrains aufzugeben.
Franzl wollte die unheimliche Ruhe nicht durcheinander bringen, bedankte sich flüsternd und nannte seinen Namen.
Der andere war in seinem Alter. Er heiße Simon.

Hier sind nur Juden und Zigeuner. Ich bin Jude. Was bist du?

Zigeuner… habt ihr denn was angestellt? Ich meine, weil sie euch einsperren?

Haben sie dich nicht auch eingesperrt? Hast du vielleicht was angestellt? Ich hab´ nichts angestellt, außer, daß ich Jude bin. Um genau zu sein: Das haben mein Vater und meine Mutter angestellt… ja, und die Vorfahren halt. In einem anderen Teil sind Schwerverbrecher. Wir hören es hier, wenn sie sie aufhängen, draußen im Hof. Da steht der Galgen. Und die schreien, daß sie nicht sterben wollen. Aber es hilft ihnen nichts. Plopp, macht es, und dann ist Ruhe. So ist das hier. Fast jeden Tag hängen sie einen auf.

Franzl wurde es unbehaglich. Doch er ließ sich nichts anmerken. Simon redete davon, als sei es das Alltäglichste auf der Welt. War es auch, wenn es fast jeden Tag passierte.

Ich hab´ genau das gleiche angestellt wie du, Simon…

Damit war das Gespräch vorerst beendet, denn Franzl überkam mit einem Mal die Angst um die Mutter und die Kinder. Was würden sie mit ihnen anstellen? Um ihn selbst bekümmerte er sich vorerst weniger. Außerdem saß Onkel Albert neben ihm.
Wenn sie sie, wie die Juden, nach Osten bringen würden, zu welchem Zweck auch immer – ihm sollte es einerlei sein, solange man sie nur zusammen ließe.
Wahrscheinlich gab es eine Frauenabteilung.
Es war dumpf in der Zelle. Nicht nur äußerlich dumpf und dunkel. Das Schweigen war ein Teil dieser Dumpfheit. Die stieren Blicke derer, die er erkennen konnte, weil sie am nächsten saßen, waren Ausdruck der Dumpfheit.
Was mochten sie denken?
Was hatten sie erlebt?
Was hatte man ihnen angetan?
Simon schien einen Teil seiner Gedanken zu erraten.

Sie kommen von überall her. Von Ungarn, aus der Kraina, aus Serbien… ich kann ihre Sprache nicht verstehen. Nur wenn sie leise beten, kann ich was verstehen, weil sie hebräisch beten. Das kann ich ein bisserl. Ich komme aus Galizien. Dort war ich in der Schule, Oberschule. Meinen Vater haben sie gleich erschossen… Die Zigeuner sind meist aus der Slowakei…

Franzl traf es wie ein Fausthieb. Slowakei? Dort sei man sicher, hatte er einst geglaubt, weil es die Maria gesagt hatte.

Slowakei? Aber… das… dort sind doch die Deutschen gar nicht, Simon…

Schon längst. Eine Zeitlang haben sie die Slowakei verschont, aber sie hatten ihre Gesinnungsgenossen dort. Das ist längst vorbei, ja…

Vater Johann… er hatte auf ganzer Linie recht gehabt. Keiner konnte auskommen.
Die Tür flog auf.

Wer möcht´ a bisserl raus? Du da vielleicht, ja, du, der Neue, der Zigeuner, komm, ich zeig´ dir was!

Überrascht sah Franzl hin. Er war gemeint. Raus? Ans Licht? Frische Luft?
Freudig stand er auf. Simon aber faßte ihn am Ärmel.

Nicht, Franzl… bleib da!

He, Saujud! Laß ihn, wenn er raus will. Komm, Zigeuner!

Franzl folgte dem Wächter.
Der führte ihn nach wenigen Metern zu einer Kellertreppe. Unten war ein langer, schwach erhellter Flur. Eine der vielen Türen stand offen.

Da rein! Hopp!

Franzl betrat den Raum, der auch nur durch das spärlich einfallende Tageslicht eines kleinen Fensters unterhalb der Decke erhellt wurde.
Dort stand in der Mitte ein merkwürdiges Gerüst. Zwei hohe Balken, oben durch eine Schräge, unten durch ein Brett miteinander verbunden. Das Brett hatte ein kreisrundes Loch.
Der Wächter drehte am Lichtschalter. Der Raum war plötzlich in gleißende Helligkeit gehüllt.
Da sah Franzl etwas, das ihm den Atem abwürgte. So stark, daß er glaubte, ersticken zu müssen.
Auf dem Boden vor dem Loch lag ein Kopf. Ein Menschenkopf. Und alles ringsum war voller Blut.

So, Bursch. Du nimmst jetzt den Kopf und legst ihn in den Korb da. Drüben im Nebenraum ist ein Ofen. Dort brennt ein Feuer. Ein großes Feuer. Den Kopf wirfst du in das Feuer. Dann machst du das Blut da weg. Hier ist ein Schrubber und ein Wassereimer. In einer halben Stunde bin ich wieder da. Dann ist alles blitzblank, verstanden?! Du wolltest ja unbedingt raus, hi, hi, hi, hi… hopp, anfangen!

Franzl starrte auf den Kopf. Die Augen waren weit aufgerissen, die Haare nach allen Richtungen weggespreizt, Mund und Lippen so verzogen und verformt, daß die daraus hervorbleckenden gelben Zähne ein geisterhaftes, in eine auf Ewigkeit unveränderbare Form gegossenes Lachen vorgaukelten.
Er verstand nichts, denn mit der ihm bekannten Wirklichkeit hatte die Szenerie nichts gemeinsam. Aber er zitterte wie Espenlaub.

Hopp, hab´ ich gesagt! Oder soll ich dich auch gleich draufschnallen? Das Fallbeil darf nicht rosten. Dienstvorschrift. Willst du jetzt wohl?!

Wie in Trance bückte sich Franzl nach dem Kopf, nahm ihn in die Hände und legte ihn in den Korb.
Aus dem Ofen schlug ihm eine sengende Flamme entgegen. Er warf den Kopf hinein.

Zumachen, Blödian!

Er schloß die Schürluke. Dann schlurfte er zurück in den Hinrichtungsraum und bewegte mechanisch den Schrubber auf dem Boden hin und her. Das Blut war bereits angetrocknet.

Auf die Knie. Hier, eine Wurzelbürste. Aber jetzt a bisserl plötzlich!

Das Blut war stumm und sogar gnädig, denn es gab nach. Das Wasser im Eimer färbte sich dunkel. Der Wächter ging nicht weg, sondern wartete und stieß ihn mit dem Stiefel auf jeden Rest.
Endlich war alles weg.

In den Gully mit der Brühe, draußen auf dem Flur. Und dann ab! Zurück in die Zelle! Und wenn du nicht parierst, Zigeuner, dann darfst du noch einmal raus, kapiert?

Franzl wankte zurück in die Gemeinschaftszelle und fiel neben Simon auf den Boden. Er atmete schwer.

So haben sie uns alle drangekriegt, Franzl. Geködert, gelockt. Deswegen wollte ich dich aufhalten. Jeder, der neu ist, macht diese Prozedur mit. Sie haben ihren Spaß daran. Den Spaß mit dem neutralisierten Grauen, so nenne ich es. Alles ist neutral, die Guillotine, der Kopf, das Blut, der Ofen, sogar der Schrubber und der Wassereimer. Wie sie selbst, diese Schweine. Nein, Schweine sind sie eigentlich nicht. Weil Schweine sowas nicht machen. Sadisten heißt es richtig. Weißt du, was ein Sadist ist? Das ist einer, der das größte Vergnügen daran hat, Menschen zu quälen. Denen schwillt dabei sogar ihr Gockel auf. Eine richtige Lanze kriegen die, verstehst du? Und die Neuen sollen diese Neutralität kennenlernen. Die Neutralität des Grauens… die so neutral ist wie ein Stein im Boden, wie ein Stück Eisen, wie das Fallbeil… hier ist deine Wassersuppe. Ich hab´ sie dir aufgehoben. Du wirst sie allerdings kaum behalten können. Keiner konnte das, als er zurückkam.

Als Simon ihm den Napf hinhielt, spie Franzl Galle auf den Boden vor sich.