„Im Namen Gottes“, historischer Roman vom Kampf der Zeloten gegen die römische Besatzung Palästinas im ersten Jahrhundert n. Chr.

Claudius Epirus, Centurio der Prätorianergarde, vom Präfekten Tigellinus beauftragt, dem Zelotenunwesen in Palästina endgültig den Garaus zu machen, hat das Unmögliche geschafft: Unter dem Pseudonym Yoram Ben David, eines jüdischen Kaufmanns, der in Rom lebt und erfolgreiche Geschäfte betreibt, gelang es ihm, bis in die Führungsspitze der Rebellen in der Provinz Judäa vorzudringen. Mit einer Kleingruppe ist er inzwischen nach Rom zurückgekehrt. Sie versuchen, die Christen, die sie noch immer als Brüder betrachten, dort für die Rebellion zu gewinnen. Plötzlich befinden sie sich in unmittelbarem Kontakt zu einer Verschwörergruppe um den Senator Piso, die Kaiser Nero ausschalten will.

V. Sturm

Aktiv werden – wie treffend hatte Schimon das ausgedrückt – obwohl es nichts grundlegend Neues war. Eleazar begann, Afranius geschickt auszuhorchen. Namen fielen: Die Senatoren Piso, Flavius Scaevinus, Plautius Lateranus; die Ritter Cervarius Proculus, Iulius Augurinus, Munatius Gratus, Marcius Faestus, Antonius Natalis; die Tribunen Subrius Flavus, Caius Silvanus, Statius Prossimus sowie die Centurionen Sulpicius Asper, Maximus Scaurus und Venetus Paulus; der in beständigem Konkurrenzkampf zu Tigellinus stehende Faenius Rufus. Und nicht zuletzt auch der halbseidene Intimus des Kaisers, Claudius Senecio.
Yoram war noch einmal in höchste Bedrängnis geraten, als Eleazar die Namen der drei Centurionen nannte. Doch es waren keine Kameraden der Garde, sondern der Armee.

Und der Gipfel, Brüder, so es sich denn als wahr erweisen sollte: Auch Seneca, der alte Lehrer und ehemals engste Berater Neros, soll der Rebellion nicht abgeneigt sein. Alles in allem lauter hochkarätige Leute. Das spricht in der Tat für die Wiederherstellung der alten republikanischen Verhältnisse. Was wollen wir mehr?

Euphorie machte sich breit. Man sah bereits das Ende des Imperiums in der derzeitigen Form am Horizont heraufziehen. Wie gerne hätte Yoram ihm vorbehaltlos zugestimmt. Vergessen waren Hochverrat und mögliche tödliche Konsequenzen. Er würde es Tigellinus zeigen. Der sollte nicht mehr dazu kommen, einen Griechen zu demütigen.
Deshalb entschloß auch er sich, den Spieß umzudrehen und es mit Epicharis aufzunehmen. Aus ihr wollte er herauskitzeln, an welche Aktionen gedacht war.
Er wählte, wie sie in jener milden Nacht, die Terrasse von Joschuas Villa, ließ sich von Eleazar vor der Gemeinde  entschuldigen, daß er später käme und versteckte sich in den Büschen.
Es dauerte nicht lange, und sie trat heraus. Ihm schien, als sei sie noch nervöser als sonst.
Weil sie wußte, daß die Verhandlungen mit den Hebräern schon weit fortgeschritten waren?
Laulos trat er von hinten an sie heran, umfaßte ihre Taille und bedeckte ihren Hals mit Küssen.

Ich bin es, Liebste… Yoram… ich halte es nicht mehr aus, ja, ich kann nicht mehr widerstehen. Komm, laß uns verschwinden von hier…

Sie fuhr herum wie eine Katze, schlang in wilder Leidenschaft die Arme um ihn und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Yoram drückte sie an sich, so daß sie seine augenblicklich aus den Lenden gewachsene körperliche Erregung an ihrem Leib spüren mußte.

Komm, Liebste, ich will dich haben, sofort…

Er zog sie zu den Büschen. Dann lagen sie nebeneinander auf der warmen Erde. Er öffnete die Spangen und Bänder ihrer Tunika. Hart drückte seine Männlichkeit gegen ihren Bauch.
Da stemmte sie sich gegen sein Drängen.

Nicht, Yoram… nicht hier… morgen… komm morgen zum Garten Pisos, ich will dich erwarten… nur soviel für heute: Wir haben Pläne, konkrete Pläne… das Volk muß sich mit erheben, ja, wir dachten an Feuer im Palast des Wüstlings, das das Zeichen sein soll für den Aufstand. Denn wir werden das Gerücht streuen, Nero selbst habe den Befehl dazu gegeben, damit er einen neuen, riesigen Palst bauen kann. Dann wird das Volk auf die Barrikaden gehen… oh, ich freue mich auf dich, Geliebter… ich muß jetzt wieder hinein, sonst fällt es auf. Kommst du dann noch? Ich will dich aus der Ferne betrachten, wie vorher, oh ja, ich freue mich auf dich!

Sie erhob sich, ordnete Kleidung und Haare, küßte ihn und verschwand im Haus.
Feuer im Palast! Und gespielte Leidenschaft.
Nur vom Glauben war nicht mehr die Rede gewesen. Ja, er hatte sie durchschaut. War Tyche zu ihm zurückgekehrt?
Er wartete noch eine Weile, betrat dann den Versammlungsraum, wo Eleazar gegen eine Flut von verbalen Attacken besonders fanatischer Christiani zu kämpfen hatte und erspähte Phyllis. Da faßte er den Entschluß, sie zu informieren. Was würde der erfahrene Aquila ihm wohl raten?
Am Ende der Versammlung, die in einem Wirrwarr von Meinungen zu ersticken gedroht hatte, trat Yoram wie zufällig direkt hinter Phyllis, die sich anschickte zu gehen. Er tat, als streiche er den Bart, wie er es damals bei den Händlern gesehen hatte, die  etwas in Zweisamkeit zu besprechen hatten, das keiner sonst hören sollte.
Sie zeigte keinerlei Regung, als sie sich ein leichtes Tuch über den Kopf zog und in ihren Handspiegel sah.

Keine Reaktion jetzt, Phyllis. Ich weiß, daß du mich erkannt hast. Komm bitte so schnell wie möglich zum Heiligtum der Nymphen. Es geht um Alles.

Unter dem Vorwand, er müsse die teils über die Maßen feindseligen Angriffe aus den Reihen der Christiani überdenken, trennte er sich von den Brüdern und eilte schnurstracks zu dem Treffpunkt, der nicht weit von Joschuas Villa entfernt lag. Kurz nach ihm erschien Phyllis.
Yoram hielt sich nicht mit langen Vorreden auf.

Du weißt, daß mir das schier Unmögliche gelang. Ich bin mittendrin, ja, direkt in der Kommandozentrale der Zeloten. Was in Palästina geschah, interessiert jetzt nicht. Es geht um Rom. Wir haben Kontakt zu einer Verschwörergruppe, die Nero beseitigen will. Lauter Ehrenmänner um den Senator Piso. Soeben erfuhr ich, daß als Signal für die Revolte die Abfackelung des Palatin geplant ist. Vielleicht schon sehr bald. Den Zeitpunkt kenne ich noch nicht. Gib sofort Aquila Bescheid und komm weiter in die Versammlungen. Laß uns, wenn möglich, danach immer kurz hier zusammentreffen, damit ich dich auf dem laufenden halten kann.

Ungläubig hatte Phyllis ihm zugehört. Sie schien völllig überrascht.

Ein Umsturz?… Soeben hast du es erfahren? Dann… dann kannst du es nur von dieser Frau wissen. Ich beobachtete… ja, ich sah, wie sie dir entgegenschmachtete. Frauen sehen in mancher Hinsicht mehr und besser als Männer… Sei vorsichtig, Claudius, ich kenne sie. Man weiß, daß sie viel Leid erleben mußte unter ihrem Herrn Tigellinus und daß sie gerade deswegen unberechenbar ist in ihrem Haß. Sie kam vor euerer Anwesenheit nie in die Gemeinde… deswegen ist ihr… Interesse an dir…

… nur gespielt, ich weiß, Phyllis. Sie wollen uns einspannen. Erkläre das alles Aquila, denn ich weiß nicht, wie ich mich jetzt verhalten soll. Einesteils…

Phyllis legte ihm die Hand auf den Mund.

Du mußt jetzt gehen, und ich auch. Ich… wir waren sehr froh, als ich dich erkannte, denn wir dachten, du seist längst nicht mehr am Leben. Ja, also dann bis bald, Claudius… äh, Yoram.

Eleazar und Schimon wirkten ein wenig ratlos. Yorams Neuigkeit überforderte sie. Sie, die von Mann zu Mann zu kämpfen gewohnt waren, sollten auf einmal Brandstifter sein? Wie jene von der Obrigkeit gedeckten Verbrecher in der Heimat, die Bauernhöfe abfackelten, und denen es egal war, ob Unschuldige dabei umkamen?
Hinzu kam die Verstockheit der Christiani. Wie sollte man denen denn endlich klar machen, auf welchem Weg sie waren?
Schimon behielt einen kühlen Kopf.

Der Plan ist schon genial. Nero die Schuld zuschieben… das darbende Volk, das ja unmittelbar betroffen wäre durch eine solch ungeheuerliche Provokation…

Yoram dachte, es sei besser, erst einmal dagegen zu sein.

Das Volk? Das Volk ist zufrieden, wenn es weiterhin Brot und Spiele vorgesetzt bekommt, machen wir uns da nichts vor, Brüder. Ich bezweifle, ob es es sich mitreißen läßt.

Gilad hatte die Nachricht verdaut.

Das Volk hat trotz der Köder Brot und Spiele einen unbändigen Haß auf den Kaiser. Die Ärmsten können sich sogar weder das eine noch das andere leisten. Ich glaube, die Verschwörer schätzen das richtig ein. Es besteht eine große Chance, daß die Massen mitziehen.

Das war die Meinung des Ortsansässigen, der es wissen mußte. So sah es Eleazar.

Ohne Risiko geht nichts, Brüder. Sie kalkulieren das ein, da bin ich mir sicher. Aber es kann sich nur um ein Restrisiko handeln, denn die ehrenwerten Herren werden alles verlieren, wenn es nicht hinhaut, aber auch alles gewinnen, wenn es klappt. Und da sie Realisten sind, die am Leben und an ihren Gütern hängen, gehe ich davon aus, daß sie vom Erfolg überzeugt sind. Müssen wir abstimmen? Ich bin dafür mitzumachen.

Da sich keine weitere Gegenstimme erhob, war die Sache beschlossen. Eleazar nahm Yoram zur Seite.

Ich weiß zwar nicht, wie du das gemacht hast, Bruder, aber es war gut. Ich nehme an, daß weiterhin alles über Epicharis laufen wird. Ich werde daher Afranius nicht fragen. Also geh den Weg, den du eingeschlagen hast. Im Namen Gottes..

Wenn der wüßte, dachte Yoram im ersten Moment ein wenig amüsiert. Würde er auch so handeln? Nun, Epicharis war nicht verheiratet, folglich könnte auch das Gesetz es ihm nicht verbieten. Aber wer wußte, ob Eleazar nicht einer von den Keuschen war? Eine Sekunde lang dachte er an Kassandra. Über solche Dinge wurde jedoch nicht gesprochen.
Beim nächsten Treffen in Joschuas Gebüschen durfte Yoram seinen Körper an dem ihren in beiderseitiger Nacktheit reiben, mehr nicht. Wieder hatte sie eine Ausrede. Sie habe ihre Tage bekommen. Es machte ihm nicht viel aus, denn erstens wußte er um ihre Taktik, zweitens hatte er so lange in Enthaltsamkeit gelebt, daß er sich, wie er danach recht abständig feststellte, von Eleazar – und den anderen Brüdern – in dieser Hinsicht nicht viel unterschied. Obwohl er sich sehr beherrschen mußte, nicht einfach gegen ihren Willen über sie herzufallen.
Sie war ein Luder. Folglich hätte es ihm auch nicht die Erfüllung gebracht, die er sich anfangs eingebildet hatte. Bei Gelegenheit, wenn er es nicht aushielte, würde er eben eine Hure aufsuchen. Geld hatte er genug, um alle Huren der Stadt nacheinander zu besuchen. Die wenigstens, die nicht den Reichen reserviert waren. Es war ein schönes Gefühl der Freiheit, und er spürte auf einmal, wie er begann, wieder römisch zu denken.
Noch zweimal trieb sie es auf diese Weise mit ihm, und er merkte, daß es ihm doch sehr zusetzte. Mit einer so schönen Frau in so enger Umarmung zu verbringen und dann zurückgestoßen zu werden, mußte jeden Mann irgendwann um den Verstand bringen.
Er sagte es ihr schließlich freiweg.
Da ließ sie es zu. Doch ihre Augen waren währenddessen starr in den Nachthimmel gerichtet, ihre Arme um seinen Rücken ohne jede Leidenschaft.
Danach war sie sehr sachlich.

Den Brand werdet ihr legen, bei den Marktständen am Circus Maximus. Der Kaiserpalast auf dem Palatinus liegt gleich darüber, das Feuer wird sich von alleine hochfressen, so daß ihr genügend Zeit habt, euch in Sicherheit zu bringen. Ihr habt die meiste Erfahrung in solchen Dingen, macht euch daher schon einmal Gedanken, wie das an besten zu bewerkstelligen ist… Wir sind noch am Überlegen wegen des definitiven Zeitpunktes. Haltet euch für die zweite Hälfte des nächsten Monats bereit.

An diesem Abend behelligte sie Yoram nicht mehr mit ihren begehrlichen Blicken in der Versammlung. Sie hatte den Ort nach dem Zusammensein verlassen.
Wie das zu bewerkstelligen sei! Die machten es sich leicht, sehr leicht. Die Zeloten waren keine Brandstifter. Doch anscheinend hatte sich ihr Ruf einer Räuberbande auch bereits in den aristokratischen Kreisen der Hauptstadt festgesetzt.
Yoram konnte seinen Ärger kaum verbergen. Der Monat Iunius neigte sich dem Ende zu. Also in etwa drei oder vier Wochen.
In der Herberge machte er seinem Unmut Luft. Unruhe entstand.

Bei den Markständen? Dort leben die Händler! Das können wir nicht machen, Brüder! Wir würden Unschuldige in Gefahr bringen. Ja, sie würden verbrennen in ihren armseligen Buden, die so trocken sind wie Zunder!

Einer der Jungen sprach jetzt voller Abscheu das aus, was die anderen dachten, als Yoram die Nachricht brachte. Nun brach es auch aus ihnen heraus.
Sie seien keine Mörder, keine Kriminellen, wie man sie seit jeher hingestellt hatte, um sie in Verruf zu bringen. Niemals dürfe man so etwas tun. Nero und seine Brut ja, gerne sogar, aber keine Unbeteiligten, die zudem selbst unter dem Tyrannen litten. Das würde der Ewige mit seinem Zorn bestrafen in aller Zukunft, an den Kindern und Kindeskindern.
Eleazar beruhigte die Brüder.

Das werde ich regeln. Nur unter der Bedingung, daß wir die Händ-ler kurz vor der Aktion warnen können. Darauf gebe ich euch mein Wort. Selbstverständlich werden wir auch rechtzeitig die Brüder und Schwestern verständigen, die in der Nähe wohnen. Keiner soll Schaden nehmen an Leib und Leben, im Namen Gottes! Und falls die hohen Herren damit nicht einverstanden sind, sollen sie es selbst machen.

Das war gut, überlegte Yoram. Sie mußten sich darauf einlassen, denn ihre Verbündeten waren zu Mitwissern ihrer Revolte geworden.