Im Uhrenspezialgeschäft

Drama in einem Aufzug, der weder nach oben noch nach unten, geschweige denn nach rechts oder links fährt

Herausgegeben vom Verein zur Auferstehung des Kalauers e.V.
1. Präsident: Willi Weglehner
2. Präsident: Willi Weglehner
Mitglieder: Willi Weglehner
Vereidigte Sponsoren: Willi Weglehner
Kassier: Herr Keiner
Kassenprüfer: Herr Niemand
Vereinsdiener: Willi Weglehner
Beisitzer von links: Willi Weglehner
Beisitzer von rechts: nicht erwünscht
Bankverbindung: Real Zero Estate-Bank, Kalau/Niederlausitz, Konto-Nummer 000 000 000
Eingetragen im Dunkel der Registraturkammer der Kommune Kalau, Niederlausitz

Personen:

Eine Doppelrolle

Requisite:
Zwei Stühle für eine Doppelrolle

 

Grüß Gott.

Grüß Gott, der Herr. Womit kann ich Ihnen dienen?

Sie brauchen mir nicht dienen. Ich möchte eine Uhr.

Da sind Sie bei uns ganz richtig. Wir sind ein Uhrenspezialgeschäft.

Das hab ich bereits gelesen. Draußen. Ich bin nämlich kein Anal-Phabet, wenn Sie das glauben.

Ein… was?

Ein Anal-Phabet.

Ach, Sie meinen An-Alphabet?

Was soll denn das sein?

Na, da heißt es „An“. Ein „An“. vielleicht so, wie man einen Brief schreibt „an“ jemanden.

Ach, Sie schreiben Briefe an Alphabeten? Sie machen sich verdächtig. Und überhaupt: Sie bieten auch Kaffee an, wie ich sehe. Sind Sie dann ein Uhrenkaffeespezialgeschäft oder ein Kaffeeuhrenspezialgeschäft?

Das verstehe ich nicht, mein Herr. Also, Sie möchten eine Uhr kaufen.

Ein Pfund Suppenfleisch kaufe ich doch nicht bei Ihnen. Das kaufe ich auch nicht in der Apotheke, weils da dreimal soviel kostet, sondern auf dem Schlachthof, weil´s da dreimal billiger ist als beim Metzger. Ja, ich möchte eine Uhr, das ist doch klar. Eine, die man tragen kann. So wie die dort oben.

Eine Küchenuhr? Die können Sie freilich tragen, wenn Sie wollen, aber…

Oder die dort.

Das ist eine Standuhr. Da wird´s schon schwieriger mit dem Tragen.

Nein, die ertrag ich nicht.

Äh… Sie  meinen, Sie können sie nicht tragen?

Kann schon sein. Können Sie sie ertragen?

Bis vor die Geschäftstür könnte ich sie Ihnen tragen. Aber natürlich nicht heim zu Ihnen.

Das möchte ich Ihnen auch nicht geraten haben. Daheim ist nämlich meine Frau. Und außerdem ist die mir viel zu groß. Etwas Kleineres…

Ach, jetzt verstehe ich. Dann würde ich Ihnen eine Armbanduhr empfehlen.

Hm, das klingt schon besser. Weil ich mir eine Reichbanduhr wahrscheinlich nicht leisten kann. Aber arm bin ich auch nicht gerade. Sonst könnte ich mir keine Uhr kaufen.

Eine Reichbanduhr? Die gibt es doch gar nicht, mein Herr.

Gut, daß Sie das verstanden haben. Das bringt uns schon ein Stück weiter. Ich mag die reichen Protzer sowieso nicht. Die geben nur an mit ihren Armbanduhren.

Ja… darf ich Ihnen dann jetzt einige Modelle zeigen?

Nein, Modelle auf keinen Fall. Ich brauche kein Modell, weil ich eine Frau daheim habe, das hab ich Ihnen doch gerade schon gesagt. Stellen Sie sich vor, ich komme mit einem Modell heim. Was da los ist! Nixdawack mit Modellen.

Ich meine doch einige Beispiele, mein Herr.

Ach so, das soll mir recht sein. Auch wenn Uhren nicht zum Spielen da sind. Es sei denn, es handelt sich um Spieluhren. Da kenne ich mich aus. Aber Beispieluhren kenne ich nicht. Man soll ja auch lieber schlafen als beischlafen.

Also gut, wenn Sie meinen. Da hätten wir  z u m  Beispiel eine Uhr mit Stoppuhr. Da können sie Läufer stoppen.

Warum soll ich die stoppen? Die sollen doch laufen.

Oder hier eine mit Taschenrechner.

Ich kann rechnen wie ich lesen kann. Sonst wäre ich doch jetzt nicht herinnnen bei Ihnen.

Ja, also dann vielleicht eine mit einem ganz flachem Gehäuse?

Paßt denn da die Zeit rein?

Wieso die Zeit, wenn doch das Uhrwerk drinnen ist.

Ja verstehen Sie denn nicht… eine Uhr möchte ich, auf der die Zeit vergeht.

Aber mein Herr, die Zeit vergeht doch auch so. Ohne Uhren.

Warum verkaufen Sie dann überhaupt Uhren?

Damit der Kunde weiß, wie spät es ist.

Wie spät? Warum nicht, wie früh? Ich brauche eine Uhr in der Früh, weil ich da aufstehen muß.

Da wäre eine mit Leuchtzifferblatt gut. Dann sehen Sie auch, wenn es noch dunkel ist in der Früh, wie spät, äh, wie früh es ist.

Nicht schlecht. Aber der Strom wird auch immer teurer.

Das Leuchtzifferblatt braucht keinen Strom, mein Herr.

Dann lasse ich es mir gefallen.

Darf ich Ihnen die dann einpacken?

Nein, nein, jetzt ist es fast Mittag. Ich will nicht nur wissen, wie früh es ist, sondern auch, wie mittag es ist.

Gut, dann will ich sie Ihnen gleich anlegen. Ah, sieht schön aus.

Sieht der Preis auch schön aus? Wieviel kostet die?

Die kostet 325 Euro. Sie ist auch funkgesteuert, mein Herr.

325 Euro? Ich hab Ihnen doch gesagt, daß ich mir keine Reichbanduhr leisten kann. Funkgesteuert? Vom Rundfunk? Was die alles machen heutzutage Aber da zahle ich doch schon Rundfunkgebühren.

Nein, mein Herr, damit hat das überhaupt nichts zu tun. Die Uhr wird über Funk von einer Zentrale aus gesteuert, wo die Zeit ganz genau gemessen wird. Deshalb geht sie ganz genau. Auf die Sekunde.

Auf die Sekunde? Na ja, die Stunde hätte mir auch gereicht. Wenn aber die Uhr auf einer Stelle des Zifferblattes plötzlich stehen bleibt? Vergeht dann die Zeit auch? Die Zeit sieht man doch nicht.

Ja, das stimmt, die Zeit sieht man nicht. Aber die Zeit vergeht immer, mein Herr. Da brauchts keine Uhr. Außerdem bleiben Uhren heutzutage kaum mehr stehen. die Batterien halten jahrelang.

Die Batterien? Ich möchte eine Uhr, die man aufziehen kann. So wie mein Großvater eine hatte. In der Westentasche.

Eine Taschenuhr?

Ja, aber die haben sie ihm gestohlen. Im Wirtshaus. Und dann wußte er nicht mehr, wie die Zeit vergeht und blieb sitzen. Im Wrtshaus. Und am Ende ist er gestorben. Ich möchte aber noch nicht sterben, will aber trotzdem wissen, wie die Zeit vergeht. Damit ich weiß, wieviel Zeit ich noch habe, bis ich sterbe.

Nein, mein Herr, daß Sie sterben, will ich auch nicht. Aber Sie haben anscheinend soviel Zeit, daß Sie sie totschlagen können.

Wie soll ich etwas totschlagen, das ich nicht sehen kann? Daß man die Zeit nicht sehen kann, haben Sie doch grade selbst gesagt. Und wenn ich was nicht sehen kann, schlage ich doch immer daneben. Wie Sie nur sowas sagen können! Aber sterben müssen wir halt. Alle miteinander. Bloß nicht alle zur gleichen Zeit, das wäre ein schö-nes Durcheinander. Sehen Sie, da sind auf einmal wir wieder bei der Zeit. Ist das nicht interessant?

Sie nehmen also die Uhr?

Wieso nehmen? Sie haben sie mir doch schon gegeben. Ja, nicht schlecht. Aber… aber da… schauen Sie genau hin, da ist ein Fehler. Sie hat kein Rädchen zum Aufziehen.

Ja eben, weil sie elektrisch geht.

Trotzdem. Ein Rädchen zum Aufziehen gehört einfach an eine Uhr. Also, ich kaufe sie. Aber dann kostet sie weniger. Eine Uhr mit Fehler kostet weniger. Alles, was einen Fehler hat, kostet weniger. Sogar im Internet. Ich zahle 50 Euro. Wenns hoch kommt. Und keine Verhandlungsbasis, verstehen Sie?

So, jetzt hören Sie mir mal gut zu. Sie stehlen mir meine Zeit, und Zeit ist Geld. Entweder Sie zahlen den Preis oder Sie verschwinden. Her mit der Uhr! Sie sind ja verrückt.

Nein, Sie sind verrückt. Denn wenn Sie nicht verrückt wären, dann hätte man Sie nicht hierher verrückt, sondern stehen lassen, wo Sie vorher gestanden sind und Sie würden jetzt ganz woanders stehen. Da drüben im Schreibwarengeschäft  z u m  Beispiel. Habe die Ehre! Und Ihnen noch eine schöne Zeit.