Nahkampf

Nahkampf

Zeitgeschichte in literarischer Form dem Leser zu vermitteln gehört zu den problematischen Versuchen, Tage, Monate, Jahre, Jahrzehnte in jene erzählerische Form zu bringen, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern im gleichen Atemzuge mitreißt, zeitbedingte Situationen, Stimmungen, Geisteshaltungen und eben das, was man gemeinhin mit Zivilcourage bezeichnet, in die Vorstellungswelt des Lesenden zu transportieren. Dem Autor ist dies insofern blendend geglückt, als es sich – seine Schilderungen als roter Faden durchziehend – im Nachhinein als Hommage an die nach dem unseligen Kriege wiederstandene jüdische Kultusgemeinde zu Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage (!), handelt. Hineingepackt in die Geschichte des jüdischen Jungen Alfred Ellwanger, der später ebendiese Neugründung initiierte, zitiert der Autor ein Jahrzehnt der Unterdrückung, des Versteckenmüssens, der Intrigen und Intriganten, der Obzessionen und Verblendeten, auf literarisch anspruchsvolle Art vor das geistige Auge und läßt es offen sein für jene Geschehnisse, die zwar nur einen Wimpernschlag in der deutschen Geschichte bedeuten mögen, gleichwohl zu den belastenden und widerwärtigsten Eruptionen des Bösen im Menschen gehören. Daß Arno Hamburger, der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, das Nachwort verfaßte, deutet auf einen grundlegenden Wandel in der Bewertung des Deutschen in einer neuen deutschen Nation hin. Daß dies aber besonders hervorgehoben werden muß zeigt zugleich, wie schwer sich viele Menschen dieses Landes damit tun, jüdisches Leben als integrativen Bestandteil der gemeinsam gelebten Gegenwart und der zu lebenden Zukunft zu begreifen und, auch vorm Herzen her, zu akzeptieren.

J. Michael Baerwald, Deutscher Buchmarkt, Berlin