Rezension zu „Nahkampf – Eine Jugend in der Stadt der Reichsparteitage“ in „Freiburger Rundbrief“, Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung, 3/2007
Willi Weglehner ist mit diesem „Doku-Roman“ ein hervorragendes Zeitbild der Jahre 1930 bis 1945 in Nürnberg, der „Stadt der Reichsparteitage“, sowie dem fränkischen Umland gelungen. Der Roman beginnt mit einer Überraschung. Der neunjährige Alfred Ellwanger will in die Bande der „Johannisler“ (St. Johannis, ein Nürnberger Arbeiterviertel) aufgenommen werden und besteht die dazu erforderlichen Aufnahmeprüfungen. Nichts läßt darauf schließen, daß es hier um mehr geht, als um ganz normale Abenteuer heranwachsender waschechter Nürnberger, die mit Variationen in allen Gegenden der Welt so geschehen können. Erst als Ellwanger eines Freitagsabends einen Bandentermin nicht einhalten kann, weil er mit der Familie den Sabbatbeginn feiern muß, entwickelt sich der Roman zur Geschichte eines jüdischen Jugendlichen während der Nazi-Diktatur. Der Leser erlebt nicht nur, wie Schritt für Schritt den Juden sämtliche Rechte genommen werden, es wird ihm auch die völlige Idiotie des jüdischen Rassenwahns deutlich vor Augen geführt. Der fränkische Meister des Judenhasses und Herausgeber des Hetzblattes „Stürmer“, Julius Streicher, steht dabei im Mittelpunkt. Zwei Ereignisse bilden die exemplarischen Höhepunkte dieses Wahns: die „Nürnberger Gesetze“ des 3. Reichsparteitages 1935, die den jüdischen Mitbürgern alle Rechte absprechen, und die Pogrome gegen jüdische Einrichtungen, die in der Nacht des 9. November 1938 gipfeln. Alfred Ellwanger erlebt diese Ereignisse unmittelbar mit, teils sogar fasziniert, z.B. vom ersten öffentlichen Auftritts Hitlers in Nürnberg, meist jedoch geschockt, verzweifelt, voller Zorn, gedemütigt. Seine Liebe zu Nürnberg, seinem „Schatzkästlein“, bleibt jedoch ungebrochen, auch als er aus der Stadt vertrieben wird. Buchstäblich in letzter Sekunde kann er kurz nach Ausbruch des Krieges noch fliehen. Er gelangt über Triest illegal nach Palästina und schließt sich der „Jewish Brigade“ an, die in der britischen Armee gegen Deutschland kämpft.
Nach Kriegsende kommt er in sein zerbombtes Nürnberg zurück und trifft glücklicherweise seine Eltern wieder. Als er einem ehemaligen Bandenmitglied der Johannisler begegnet, der zwölf Jahre zuvor begeistert in die Hitlerjugend eintrat und sich im Haß gegen die Juden und gegen ihn besonders hervortat, ist er kurz daran, gegen diesen seine ganze angestaute Wut zu entladen: „Da war auf einmal dieses Gefühl gewesen, es einem heimzuzahlen. Schon als er mit Erwin [einem anderen jüdischen Flüchtling, den er auf der Flucht nach Palästina kennen lernte] die fremde Sprache gelernt hatte, war von dem hebräischen Wort nakam für Rache eine gewissen Faszination ausgegangen, weil das so ähnlich klang wie Nahkampf. Und dann stand er auf einmal vor einem Objekt, an dem er seine Rache weidlich hätte nehmen und ausleben können. […] Er erinnerte sich an den Unterricht zur Bar Mizwa. Von Tod und Verderben, aber genauso von Vergebung war da die Rede gewesen. […] Hatte deshalb nicht allein der Ewige das Recht, nicht nur, weil er die Gerechtigkeit selbst ist, zu richten, zu strafen, zu vergelten?“ Ellwanger übt keine Rache, sagar dann nicht, als er erkennen muß, daß dieser ehemalige Bandenkamerad überhaupt keine Reue zeigte. Ellwanger will sich nicht auf die gleiche Stufe herablassen. Er beginnt vielmehr, zusammen mit seinem Vater die jüdische Gemeinde in Nürnberg wieder aufzubauen. Das Buch ist zwar ein Roman, in den historischen Details hält sich Weglehner jedoch an streng an die Fakten. Arno Hamburger, erster Vorsitzender der der israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, bestätigt dies in seinem Nachwort. So leistet Weglehner seinen Beitrag gegen das Vergessen an die einstigen Jüdischen Gemeinden in Bechhofen, Dittenheim, Treuchtlingen, Sulzbürg, Schwabach oder in Thalmässing, dem Heimatort des Autors.
Herbert Winklehner, OSFS, Eichstätt