HS = MS

Nein, nein, lacht Simpert Bippus gütig auf die verschämte Frage des jungen Mathematiklehrers am Gymnasium der Stadt, das sei keine mathematische Gleichung und habe auch nichts zu tun mit Multipler Sklerose. Es sei vielmehr ein großer Fortschritt im Bildungswesen des Freistaats Bayern im Hinblick auf  soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und optimale schulische Ausbildung.
„Ich erkläre dir das am besten, indem ich die Verhältnisse umgekehrt darstelle, umgekehrt proportional gewissenmaßen. Denn alles ist eine Sache des Standpunktes des Betrachters. Du hast an der Uni hoffentlich gelernt, was das bedeutet. Also: Der Hauptteil der Wissensvermittlung, den bisher die Universitäten leisteten, die heute Bätscheler und Meister ausbilden, wurde – schon vor längerer Zeit – an die Gymnasien abgegeben. Daher die große Anzahl von hochschulqualifizierten Schalterbeamten bei der Deutschen Bahn oder in den Privatbanken. Die Gymnasien übertrugen ihre Lerninhalte an die Realschulen. Sie hießen früher ja auch mal Realgymnasien. Jedenfalls die bedeutenden. Den Stoff der bisherigen Realschulen vermitteln nun die Mittelschulen, die MS. Sie treten damit an die Stelle der Hauptschulen. Daher die Gleichung HS = MS. Setzen wir die Kausalkette fort, dann sehen wir, daß anstelle der bisherigen Hauptschulen HS jetzt die Grundschulen, GS, stehen und kommen zu der neuen gesellschaftspolitischen Gleichung HS = GS. Diese Definition ist m.E. leider etwas uglücklich, wegen des Alters, verstehst du? Der Höhepunkt dieser bildungspolitischen Revolution aber wird demnächst die Verlagerung der Lerninhalte der GS in den KiGa sein, was Kindergarten bedeutet. Mit diesem System wird der Freistaat bald wieder den ihm zustehenden Platz als richtungsweisende Führungsmacht in der zivilisierten Welt einnehmen, junger Bruder“.
„Dann wird es kein PISA mehr geben, Simpert?“ hakt der Mathelehrer vorsichtig nach.
„So ist es, Bruder. Der schiefe Bildungsturm von Pisa wird wieder da stehen, wo er hingehört, in Italien. Oder von mir aus auch in Bremen oder Berlin, ha, ha, ha, ha,  Jedenfalls nicht in Bayern.“