War der Krieg nun da…

… und alle rannten hin?

Man sollte nie den Fehler begehen, mit nur einem Ohr hinzuhören, einerlei, ob generell oder ob man nur ein sommerlich geöffnetes Wohnzimmerfenster oder einen Gerichtssaal passiert.
Läßt man in beiden Fällen nicht die nötige Sorgfalt walten, kann man sich sehr schnell in allen möglichen Szenarien wiederfinden, die einem die Seelenruhe rauben.
Da wurde geschrieen „Schieß doch, du Depp!“ oder „Greift doch endlich an, ihr Flaschen!“ „Diese Verteidigung bringt uns um den Sieg!“ oder „Linie! Das war Linie!“
Das auf Halbtaubheit empfangene Vokabular ist eindeutig kriegerischem Ohrenschmaus zuzuordnen, hervorgegangen aus dem clausewitz´schen Militärkatechismus: Schießen und Angriff – keine Frage, jeder Schuß ein Russ´; Verteidigung ebensowenig; Linie, da muß man sich erst besinnen, weil das schon etwas moderner ist – logisch, die HKL, die Hauptkampflinie ist gemeint.
Sehr häufig hörte man „Stürmer“. Das kennen wir als publizistische Begleiterscheinung einer kriegs- und vernichtungslüsternen Nation. Zum Wohlsein, Europa.
Elf Meter: Damit verbinden Kriegsakademiker die Distanz, die ein Erschießungspeloton gegenüber dem Delinquenten, egal ob Vorgesetzter, Partisan, Deserteur, Befehlsverweigerer, Freischärler oder Freiheitskämpfer einzuhalten hat.
Abwehr, wer denkt da nicht an Admiral Canaris und seine grauen Feldmäuse?
Apropós Feld – Feld was? Die Schlachtfelder von Waterloo oder Stalingrad? Feldherren wie in der Walhalla oder im Invalidendom, Feldschlangen wie im verlorenen Paradies, Feldmarschälle so fett wie der Göring, Feldbetten von Dunlop, ja sogar hochdekorierte Feldgeistliche, die Feldhaubitzen segnen, gab und gibt es.
Auf dem Feld der Ehre gefallen: Denkmal, Volkstrauertag, ich hatt´ einen Kameraden, wässrige Augenwinkel alter und junger Veteranen, die auch mal möchten, nur nicht fallen.
Achtel-, viertel-, halbfinal, final… Das muß der bekannte Rettungsschuß sein, in Bruchteile zerlegt. Wirkt er dann vielleicht besser, so ähnlich wie Streumunition?
Hörte ich mit dem anderen Ohr Spielfeld? Nein, bei allem Verständnis für die kompensative Notwendigkeit von Kriegsspielzeug, aber Kinder haben da nichts zu suchen, viel zu gefährlich. Und doch hockten sie mittendrin und zwitscherten, wie die Alten sungen. Die Tradition muß ja irgendwie bewahrt werden.
Der Krieg fand aber nicht nur innerhalb, sondern noch viel mehr außerhalb des Feldes statt, vorher, besonders aber nach dem Krieg. Da tobten kriegsbemalte Kriegsbegleiter, Fans, von Fall zu Fall auch Hooligans genannt, durch die Städte und feierten den Sieg gleichermaßen wie die Niederlage ihres Krieges, indem sie soffen, lachten, weinten oder auch schon mal einiges kurz und klein schlugen wie die Landsknechte des alten Frundsberg. Nach dem wurde schon eine Panzerdivision der Waffen-SS benannt.
Die Verwirrung wurde perfekt und man wähnte sich plötzlich vor Gericht statt auf dem Schlachtfeld der nationalen Ehre.
Strafraum… hm, das kann nur der Gerichtssaal sein.
Anstoß? Ist damit der Stein des Anstoßes, der sozialpsychologische oder soziologische Hintergrund für das verhandelte Verbrechen, die trostlose Kindheit des kannibalischen Messerstechers gemeint?
Der Schiwsswssrichter: Was denn nun? Strafrichter, Marinerichter, Scharfrichter?
Strafstoß – jeder Stoß ein Franzos´… ohne Zweifel ein Kriegsgerichtsverfahren!
Tor, Toooor! Tooooooor!
Ogottogottogott, nein, wo bin ich? Im Krieg oder doch schon vor dem Tor des Gerichts, des Jüngsten Gerichts? Man helfe mir aufwachen!
Aber nicht doch, es war nur ein Märchen, ein wollüstig-schauriges Sommermärchen. Und Märchen gehen immer gut aus. Wenigstens die der Gebrüder Grimm.
Ist es dann, wenn es nicht gut ausgeht, doch kein Märchen, ob Sommer- oder Wintermärchen, sondern, wie Ringelnatz einst sagte, eine Krankheit?
Für die Zukunft gilt deswegen rein vorsichtshalber: Ohren richtig auf, beide Ohren. Wenn möglich, auch die Augen. Und dann ganz schnell vorbei an den weit geöffneten Wohnzimmerfenstern, hinter denen anstelle von schmucken Gardinen bunte Fahnen wehen, im Siegesrausch geheult wird oder die Schreie Todwunder oder zum Tod Verurteilter klagend zum Himmel aufsteigen. Sonst springt der aggressive Kriegsgerichtsbazillus heraus auf den einsamen und einfältigen Spaziergänger, der um diese Zeit verwundert das Privileg genießen kann, das Trottoir, die Straße, die Chaussee, ja sogar die ganze Stadt unbeeinträchtigt für sich zu haben.
Das allerdings klingt sehr verlockend. Öfter mal Kriegsgericht, Jüngstes Gericht oder wenigstens ein Sommermärchen gefällig?