Willi Weglehner, Franzl – Keiner weiß wohin, Roman, mabase-verlag Nürnberg 2008, 292 S.
So fern – die Urheimat der Sinti. Nicht Schwarzafrika, wie viele „Volksgenossen“ von den „Zigeunern“ annahmen und sie deshalb als „Neger“ verspotteten. Vom 9. bis zum 11. Jahrhundert verschleppten sie die Araber auf ihren Eroberungsfeldzügen aus dem Punjab, dem nordwestlichen Indien und machten sie zu Sklaven und Soldaten im Kampf gegen die oströmischen Legionen.
„Sinti“ nannten sie sich wohl nach dem Fluss Sindhu in ihrem Herkunftsland. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts tauchten sie auch in Deutschland auf, wo sich ihr Leidensweg der Verfolgungen und Diskriminierungen fortsetzte und seinen Höhepunkt zur Zeit der Nazi-Diktatur erreichte.
Willi Weglehner lässt dieses Leid Gestalt annehmen in seinem Roman „Franzl“ .
Eindringlich schildert er Kindheit und Jugend seines gar nicht so fiktiven Protagonisten und das Schicksal seiner Familie in dieser schrecklichen Zeit.
Eine Schlüsselszene: Franzl betritt nach den Ferien als erster die Schule eines österreichischen Dorfes, in dem er mit seinen Angehörigen Zuflucht gefunden hat. Der gütige Oberlehrer, der den fleißigen und intelligenten Schüler liebt, versucht, ihm schonend beizubringen, dass Zigeuner deutsche Schulen nicht mehr besuchen dürfen. Aber Franzl weiß schon Bescheid. Seine Klassenkameradin Erika, eine Jüdin, ist nämlich vor einiger Zeit nach Palästina ausgewandert. „Vielleicht gehen wir auch bald fort. Nach… nach… Herr Oberlehrer… wir wissen nicht, wohin… wohin sollen wir gehen, Herr Oberlehrer?“ Dann bricht er schluchzend zusammen. Aus ihm spricht die ganze Verzweiflung seines Volkes.
Dabei beginnt der Roman mit fast idyllischen Szenen auf einer Waldlichtung im Böhmischen: Ein schöner Sommermorgen, Speck brutzelt in der großen Pfanne. Der tüchtige Neunjährige spannt die Pferde vor den Wohnwagen, die Mutter bricht mit ihm und seinen drei Schwestern auf, wohin, weiß sie noch nicht so genau. Der Vater geht zum Kummer der Mutter als Musikant öfters eigene Wege, bringt aber sein Verdienst der Familie, die außerdem von der Wollfärberei lebt.
Ein wandernder Zimmermann aus Tirol führt die Familie nach Österreich, wo der Hass auf Juden und Zigeuner schon deutliche Schatten wirft. Hier finden sie zunächst Zuflucht bei wohlwollenden Dörflern und führen kurze Zeit ein geordnetes, sesshaftes Leben, wie es sich die Mutter eigentlich immer gewünscht hat. Franzl lernt gute Freunde kennen und erlebt seine erste Liebe mit der blondbezopften Fini, die ihren Arm um ihn legt und ihn küsst. Aber da fliegen aus dem Hinterhalt schon die ersten Steine, Fini blutet an der Stirn.
Seit einigen Jahren tobt der Krieg. Die Häscher der Nazis werden immer rücksichtsloser. Regimefeindliche Dörfler werden brutal zusammengeschlagen und nach Dachau verschleppt, auch der Lebensgefährte der Mutter. Ihr Mann, der Federn Bertl, wird mit den drei Töchtern in Böhmen gefasst.
Franzl kann noch eine Lehre bei der Eisenbahn beginnen. Ein verständnisvoller Beamter stellt ihn ein. Aber nach kurzer Zeit wird er mit der Mutter verhaftet. Es beginnt eine Leidenszeit in überfüllten Gefängnissen. In Wien wird er als Häftling gezwungen, den Kopf eines Hingerichteten zu verbrennen und die Blutlachen an der Hinrichtungsstätte peinlich sauber zu entfernen, ein fürchterlicher Schock für den 16Jährigen. Schließlich die Hölle in Auschwitz, wo er Sklave eines sadistischen SS-Offiziers wird. Immerhin kann er seiner Mutter und den Schwestern – ein trauriges Wiedersehen mit den Dreien – Lebensmittel zustecken. Der Federn Bertl, sein Vater, wird in Dachau ermordet, ebenso wie sein geliebter Pflegevater Johann.
Franzl wird weiter verschleppt, nach Buchenwald. Auf dem Todesmarsch nach Oranienbaum befreien ihn schließlich mit wenigen anderen Überlebenden die Amerikaner.
Makaber der Schluss des Romans: In Nürnberg landet er, auf der Suche nach seinen Angehörigen im Gefängnis. Er hat keine Papiere mehr und könnte ja als Zigeuner den Nürnbergern in ihrer zerstörten Stadt die letzte Habe stehlen.
Willi Weglehner gelingt es mit großer Einfühlungskraft, in seinem Roman „Franzl“ der gesichtslosen Masse der gepeinigten Sinti Gesicht und Stimme zu geben.
Allerdings zeichnet er nicht nur schonungslos und offen die teuflische Fratze menschlicher Grausamkeit. Er vergisst auch nicht, die Güte und Hilfsbereitschaft vieler einfacher Menschen zu schildern, die Franzl und dessen Angehörigen beistanden und das traurige Los der Verfolgten und Entrechteten zu mildern versuchten.
So leuchtet in dem Roman immer wieder Menschlichkeit auf, die Anlass zur Hoffnung gibt für unsere Spezies, die „Krone der Schöpfung“.
Joachim Goetz, Gesellschaft für kritische Philosophie, Nürnberg
in: „Aufklärung und Kritik“, Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie