Porträt vom 30. Juli 2008, „Nürnberger Nachrichten“

NN/HA/FEUI/FEUI1 – Mi 30.07.2008 – KULTUR
PORTRÄT {DAS PORTRÄT}
Literarischer Ausbruch aus der bürgerlichen Welt
Der Autor Willi Weglehner hat Romane über den Faschismus in der Provinz, aber auch Schlagertexte geschrieben
Das Schreiben ist für den in Thalmässing lebenden Autor Willi Weglehner ein Mittel zur „Welt- und Selbsterkenntnis“. So vielfältig wie die Erfahrungen seines mittlerweile 60 Jahre währenden Lebens ist seine literarische Produktion. Weglehner schrieb „Gute-Nacht-Geschichten“ für Kinder, diverse Schlagertexte, Dokumentarromane und einen autobiografischen Bericht seiner Erlebnisse beim Windsbacher Knabenchor.
Weglehners Vater Wilhelm war in den 50er Jahren Bürgermeister in Thalmässing, ein äußerst strebsamer Mann und konservativer Lutheraner, der in seinem Sohn von Anfang an quasi eine „verbesserte Neuauflage“ seiner selbst sah. Der Junge sollte es unbedingt zu etwas bringen in der Welt. Der erste Schritt zum Erfolg schien geschafft, als der mit einer schönen Singstimme begabte Willi im Alter von neun Jahren in den Windsbacher Knabenchor aufgenommen wurde. Seine traumatischen Erlebnisse im Kreis der Sängerknaben schilderte er später in dem — bislang unveröffentlichten — Text „Internierung/Singet dem Herrn“. Chor und Internat in Windsbach haben nach Willi Weglehners heutiger Auffassung allerlei Spuren in seiner Psyche hinterlassen, jedoch „vor allem eine unbändige Lust, aus der bürgerlichen Welt auszubrechen“.
Dennoch hat er nach dem Abitur auf Drängen des Vaters begonnen, Jura zu studieren. Viel lieber als die regulären Vorlesungen besuchte er aber die von linken Gruppen an der Universität veranstalteten marxistischen Seminare. Zeitweilig wurde er sogar Mitglied einer maoistischen Sekte. Er beteiligte sich nicht nur an großstädtischen Demonstrationen, sondern demonstrierte auch im heimatlichen Thalmässing seine Ablehnung der väterlichen Wertvorstellungen. Geld und Karriere hat er damals mit harschen Worten verurteilt, er wollte eigene Wege gehen, „gesellschaftlich nützliche Arbeit“ leisten.
Die späten 70er Jahre brachten eine gewisse Ernüchterung. Eine nütz-
liche Arbeit fand Willi Weglehner schließlich als Lehrer an der Grund- und Hauptschule seiner Heimatgemeinde. So ganz konnte ihn das Unterrichten aber nicht ausfüllen. Um die emotionalen Lücken zu schließen, besann er sich auf seine alte Liebe, die Musik. Zwischen 1980 und 1992 war er nebenberuflich Komponist, Texter und Produzent im Bereich Unterhaltungsmusik. Über die Liedtexte fand er zur Literatur. Nachdem er im Jahr 2000 den Lehrerberuf aus gesundheitlichen Gründen hatte aufgeben müssen, wäre er „sicher seelisch in ein tiefes, schwarzes Loch gefallen“, wenn er nicht „das Schreiben als Therapie“ gehabt hätte, sagt er.
Leben eines Sinto
Im Nürnberger „mabase“-Verlag erschienen 2005 gleich zwei Romane von Willi Weglehner („Der Viehhändler“ und „Nahkampf“). Beide Bücher beruhen auf historischen Dokumenten und Berichten von Zeitzeugen über die NS-Zeit in Franken. In beiden Fällen schildert der Autor ausführlich die sozialen und weltanschaulichen Gegebenheiten in der fränkischen Provinz, welche den Aufstieg des Faschismus in hohem Maß begünstigt haben. Er macht aber auch klar, dass manche der faschistoiden Denk- und Lebensweisen den Zusammenbruch des NS-Staates überlebt haben.
Der in manchem Schlupfwinkel des kleinbürgerlichen Gemüts bis heute gedeihende Rassismus begegnet zum Beispiel den Volksgruppen der Sinti und Roma nach wie vor mit aggressiver Ablehnung. Besonders wichtig ist daher Willi Weglehner sein 2008 erschienenes Buch „Franzl — Keiner weiß wohin“, eine romanhafte Bearbeitung der Lebenserinnerungen des Sinto Franz Rosenbach. Seit der Arbeit an dem Buch gestalten Rosenbach und sein Biograf auch gemeinsam Geschichtsstunden an Gymnasien und Hauptschulen in der Region. „Meine gesellschaftskritischen und aufklärerischen Ambitionen habe ich halt immer noch nicht ganz aufgegeben“, gesteht Weglehner. Um gleich anzufügen: „Obwohl ich mir natürlich über die aufklärende oder gar weltverändernde Wirkung von Literatur keine Illusionen mache.“ BERND ZACHOW

Vom Windsbacher Chorknaben zum unbequemen Linken: Der Thalmässinger Autor Willi Weglehner. Foto: Wilhelm Bauer